Topographie musikbezogener Metaphern auf empirischer Basis 67 Seismogramm der Texturen; aus dem Augenblick heraus geboren; im Rohzustand belassen; den Orchesterklang aufblühen lassen; klangliche Entfaltung; Evolutionsprozess; das Orches-terstück wächst aus den Wurzelgefechten der Pilze usw. An dieser Stelle möchte ich ein Zitat von Lakoff und Johnson wiederholen: » Un-sere Konzepte strukturieren das, was wir wahrnehmen, wie wir uns in der Welt be-wegen und wie wir uns auf andere Menschen beziehen […] Unsere Art zu denken, unser Erleben und unser Alltagshandeln ist weitgehend eine Sache der Metapher.« – Selbst da, wo Musik vermeintlich Sprache (z. B. der Gefühle) ist, ist die Metapher, wie ich schon ausgeführt habe, nicht notwendig eine rein sprachliche Angelegen-heit; vielmehr liefert die Metapher eine Struktur der Art, wie wir die Welt, auch die Musik erleben und wie wir im Alltag mit ihr umgehen. Gefühle können wir ja erle-ben, ohne dass wir diese mit Hilfe der Sprache konkretisieren müssten.Bekanntlich emp nden wir Emotionen unabhängig davon, ob wir sie in Worte fassen können oder nicht. Wenn wir Gefühle emp nden, sind Worte mehr oder we-niger überfüssig. Wenn wir Musik wahrnehmen, emp nden wir auf jeden Fall ihre Emotionalität. Ähnlich kann auch Sprache in Bezug auf Musik nur im metaphori-schen Sinne verstanden werden. Unsere Imagination hat einen großen Spielraum, das zu artikulieren, was diese Metaphern im musikalischen Bezug bedeuten. Eine erneute Diskussion zu den Studien von Ernst Kurth und Albert Wellek im Licht der Metaphernstudien scheint angeraten. Beide haben die musikpsychologi-sche Diskussion in mehreren Dekaden des 20. Jahrhunderts bestimmt.So hat Ernst Kurth die psychologischen Funktionen der Musik beispielhaft an historischen Fixpunkten entwickelt: 1916 an Bachs melodischer Polyphonie, 1919 an Wagners Tristan und 1925 an Bruckners Musik; 1930 zieht er dann in seiner Musik-psychologie ein allgemeineres Fazit. Im Mittelpunkt dieser Musikpsychologie ste-hen Innenwelten der Musik, das musikalische Erlebnis, die innere Dynamik der Musik.34 Kurth verwendet z. B. in der Tristan-Studie von 1919 u. a. folgende Metaphern: Harmonik als Ausbruch von Kraft, Innendynamik, Energie, energetische Entwicklung, Li-nie, harmonisches Farbenspiel, Spannung, Lösung, innere Klangdynamik, dynamische In-nenströmung, Ausstrahlung, Schwere, Dehnbarkeit, Klangstrebung, Klangintensität, Klangtrübung, Klangverschleierung, Klangschattierung, Lichtwirkungen, Schattierungsef-fekte, Spannungston, Lösungston, Klangfarben, Klangfortschreitung, Wendungen, Modula-tionswege, Entwicklungslinien, Zusammenballung, Aufbau, Schichtung, Klangverbindung, Klangrefexe, Gegenströmung, Klangbewegung, Rückung, Verschmelzung, Durchbruch, Überfutung, Ausbruch, Widerstand, Verschwimmen, Linienkunst, fießende Übergänge, Verstrahlung, Wellenbewegung, Schwankung, Entfaltung usw. Insgesamt geben die Stu-dien Aufschluss u. a. über Kraft, Energie, über Raum und Zeit sowie über Form in der Musik. 34 Ernst Kurth: Grundlagen des linearen Kontrapunktes: Bachs melodische Polyphonie (1916, 3/1927, 4/1948, 5/1956). 3. Auf. Berlin: Hesse 1916/1927; ders.: Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners ›Tris-tan‹: 2. Auf. Berlin: Hesse 1919/1923; ders.: Bruckner Bde. 1 und 2: [Nachdr. der Ausg. Berlin 1971]. Hildesheim: Olms. 1925/1971; ders.: Musikpsychologie (1930), 2. Auf. Bern. 1947.