68 Günter Kleinen Freilich suchen wir bei Ernst Kurth wie bei Albert Wellek 35 den Terminus Meta-pher vergebens. Gleichwohl beschreiben die beiden Autoren die Phänomene von Kraft, Energie, Raum und Zeit auf verblüffend ähnliche Weise wie dies in den kon-zeptuellen Metaphern geschieht. Eine erneute Diskussion zu den Erkenntnissen der Gestalt- und Ganzheitspsychologie erscheint viel versprechend.Fazit Um noch einmal auf die De nition der Wahrnehmung bei Jakob und Wilhelm Grimm zurückzukommen: sie unterscheiden bei der Wahrnehmung zwischen Au-ßen- und Innenwelten.36 Für die Außenwelt gibt es objektive Messungen und physi-kalische Gesetzmäßigkeiten. Im Hinblick auf die Innenwelten können wir bisher le-diglich auf zwei Erklärungsansätze zurückgreifen: auf die Gesetze der Gestaltpsy-chologie und auf Ulric Neissers ökologischen Erklärungsansatz bei den Wahrneh-mungsschemata. Beide erscheinen mir merkwürdig blass, farblos und unvollstän-dig. Die Beschäftigung mit den musikbezogenen Metaphern helfen uns hier weiter: sie können erklären, nach welchen Prinzipien die Innenwelten gebildet werden. Die Topographie dieser Metaphern, so vorläu g sie hier dargelegt werden konnten, ver-deutlicht, welche Allgemein-Vorstellungen wirksam sind und wie wir die subjekti-ven Innenwelten ausgestalten. Sie zeichnet farbige, lebensvolle Bilder imaginärer, genauer gesagt: imaginierter Landschaften, durch die wir uns hindurch bewegen oder die unser Leben durchziehen.Metaphorisch ist (nach Simone Mahrenholz) » jeder Einsatz von Prädikaten oder Symbolen, die aus einer ursprünglich anderen Sphäre (einem anderen Medium) kommen als jener, auf die sie nun appliziert werden.« 37 Musik wird betrachtet als ein Symbolsystem unter anderen. Übertragenes, metaphorisches Denken von einer Sphäre auf eine andere muss nicht notwendig ein Übertragen in Worte sein, in ver-bale Metaphern. Simone Mahrenholz führt dazu, anknüpfend an die Symboltheorie von Nelson Goodman 38 aus: » Das Verstehen von Musik bzw. die synthetisierende Musik-Erfahrung, wo sie im Erkennen und Wieder nden musikalischer Strukturen in Außermusikalischem besteht, ist ein Akt metaphorischer Übertragung. Diese muss nicht notwendig in Sprache statt nden […] Was scheint wie ein Bezugnehmen des Werks auf eigene Züge ist unser – des Hörers – Zutun, es zähl t zu unserer Kon-stitutionsleistung. Und in ihr haben wir, […] gerade bei der metaphorischen Be-schreibung von Werken einen enormen Spielraum.« 39 35 Albert Wellek: Musikpsychologie und Musikästhetik. Grundriss der Systematischen Musikwissenschaft. Frankfurt am Main: Akademische Verlagsgesellschaft 1963.36 » Wahrnehmung ist die unmittelbare Auffassung eines Gegebenen im Bewusstsein, sei es nun, dass uns etwas von außen gegeben sei, wo die Wahrnehmung durch den äußern Sinn bewirkt wird und da-her selbst eine äußere Wahrnehmung heißt, oder dass uns etwas von innen gegeben sei, wo die Wahr -nehmung durch den innern Sinn geschieht und daher selbst eine innere Wahrnehmung genannt wird.« (Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm, 1854–1960).37 Mahrenholz 2000 (vgl. Anm. 33).38 Nelson Goodman: Sprachen der Kunst: Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005.39 Mahrenholz 2000 (vgl. Anm. 33).