74 Gunter Kreutz Positive Affekte Die Hypothese, dass positive Affekte (PA) an Heilungsprozessen beteiligt sind,20 wurde erst in der jüngeren Vergangenheit vermehrt Prüfungen unterzogen.21 For-schungsübersichten 22 verdeutlichen einerseits, dass PA Stressverarbeitungsvorgän-ge modulieren und somit etwa den Abbau negativer Emp ndungen beeinfussen können. Andererseits wirken PA auch direkt das Endokrinum und die Ausschüt-tung von Hormonen und Proteinen, die mit körperlichen Abwehrmechanismen und Immunkompetenz assoziiert sind. Soweit Veränderungen von Gesundheit und Wohlbe nden durch das Zusammenspiel psychologischer und biologischer Marker erfasst werden können, wirken sich positive Affekte zumindest in zweifacher Hin-sicht aus. Umstritten ist allerdings, inwieweit es sich hierbei um antagonistische oder eher unabhängige Vorgänge handelt. Mit anderen Worten: inwiefern etwa ein Abbau von Stressoren per se Wohlbe nden steigert oder inwiefern positive Gefühle De zite des Organismus überdecken und zu Fehleinschätzungen führen können, ist aus bisherigen Untersuchungen nicht eindeutig abzuleiten. Festzustehen scheint al-lerdings, dass subjektive Emp ndungen nicht folgenlos für gesundheitlich relevante Vorgänge sind.Exkurs: Ist Musik Selbstzweck?Genügen musikalische Handlungen und Erfahrungen sich selbst? Nach verbreiteter, musikpädagogischer Anschauung soll Musik ästhetische Erfahrungen ermöglichen, deren Bedeutung sich quasi aus sich selbst schöpft. Demnach ist auf jede Form von Rechtfertigung oder Legitimation musikalischen Verhaltens zu verzichten. Musika-lisch-ästhetische Erfahrungen weisen schließlich unveräußerliche und nicht ersetz-bare spezi sche Charakteristika auf. Ich nenne diese Auffassung das Selbstzweck-Dogma.Das Selbstzweck-Dogma erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als unge-eignet, den langfristigen Erhalt von Musikkultur zu begründen. Ein Verstehen musi-kalischer Praktiken erscheint auf dieser Grundlage ausgeschlossen. Denn im Kern negiert das Selbstzweck-Dogma die generelle Notwendigkeit wissenschaftlicher Untersuchungen zu den Wirkungen von Musik.Musik ist indessen als menschliche Handlung von Rückwirkungen auf die han-delnden Personen selbst und die Personen in deren Umgebung kaum zu trennen, selbst wenn weite Teile des Produktions- und Übertragungsprozesses heute durch technische Medien unterstützt werden und auf diese Weise die Rezeption wesent-lich beeinfussen. Sofern also menschliche Faktoren musikalische Handlungen be-20 Martin E. P. Seligman, Mihaly Csikszentmihalyi, Positive psychology: An introduction. American Psy-chologist, 55, S. 5–14, 2000.21 Anna L. Marsland, Sarah Pressman, Sheldon Cohen, Positive affect and immune function, in R. Ader ,Hrsg., Psychoneuroimmunology, 4th ed., Vol. 2, S. 761–779, San Diego 2007.22 Sarah Pressman, Sheldon Cohen, Does positive affect infuence health?, Psychological Bulletin, 131, 2005, S. 925–971.