78 Gunter Kreutz Beispiele empirischer Musikforschung zu Auswirkungen des Singens Herausforderungen und Chancen empirischer Studien am Gegenstand psychophy-siologischer Wirkungen von Musik werden anhand konkreter Fragestellungen deut-lich. Untersuchungen zum Singen, an denen der Autor mitgewirkt hat, sollen hier als Beispiele dienen. Die erste Studie über Singen und Stimmbildung 27 bei Schulkin-dern erstreckte sich über einen Zeitraum von neun Monaten (ungefährer Beginn und Ende eines Schuljahres). Stimmphysiologische Bedeutungen von Gesangs- und Stimmbildung für Kinder, die an allgemein bildenden Schulen unterrichtet werden, sind unseres Wissens in der Vergangenheit nicht oder nicht ausreichend untersucht worden. Zwar werden seit vielen Jahren Statistiken über Stimmerkrankungen und dadurch bedingte Sprachentwicklungsstörungen dokumentiert, doch scheinbar na-heliegende Fragen nach angemessenen prophylaktischen Maßnahmen zum Schutz der kindlichen Stimmgesundheit werden verhältnismäßig wenig untersucht. Unsere Untersuchung umfasst Beobachtungen bei zwei Kohorten von Fünftklässlern. Die erste Kohorte, deren Ergebnisse hier dargestellt sind, setzt sich aus fünfzig Kindern (27 Mädchen und 23 Jungen) einer integrierten Gesamtschule in Oldenburg zusam-men. Als Chorklassenkinder (n = 32) wurden diejenigen Probanden bezeichnet, die wöchentlich 30 Minuten Stimmbildung in Kleingruppen erhielten. Inhalte der Stimmbildung waren nicht auf rein stimmtechnische Übungen begrenzt, sondern schlossen das Erlernen von Liedern, Bewegungsspiele und solche Übungen mit ein, die auf eine Achtsamkeit der Kinder untereinander beim Singen abzielten. Kinder in der Kontrollgruppe (n = 18) erhielten lediglich den regulären Musikunterricht und anstelle der Stimmbildung mehr freie Zeit zum Spielen. Auch im Regelunterricht wurde gesungen, jedoch nicht mehr und nicht weniger als im Unterrichtskurriku-lum vorgesehen.28 Ein wichtiges hier zu berichtendes Verfahren ist die Erfassung und Quanti zie-rung des so genannten Stimmfeldes. Dabei werden unter Anleitung gesprochene und gesungene Vokale des Kindes mit einem Mikrofon aufgezeichnet. Frequenzen und mittlere Pegel der Lautbildungen werden über die tiefsten und höchsten sowie leisesten und lautesten produzierten Vokale in einem Diagramm aufgetragen. Die-ses Diagramm dient Phoniatern und HNO-Ärzten dazu, Stimmprobleme zu diagno-stizieren in Ergänzung oder als Ersatz für eine Laryngoskopie des Kindes. Aus phy-27 Wibke Gütay, Gunter Kreutz, Entwicklung der Singstimme von Kindern in Chorklassen: Eine medizi-nisch-physikalische Längsschnittuntersuchung von Stimmleistungsparametern, in: B. Schwarz, P. Nenniger & R. S. Jäger, Hrsg., Erziehungswissenschaftliche Forschung – nachhaltige Bildung, Landau 2011.28 Jedes einzelne Kind wurde zu Beginn und zum Ende des Schuljahres 2007 einer Reihe von Tests unter-zogen und füllte zudem (wo angebracht, mit elterlicher Unterstützung sowie vom Lehrer) Fragebögen über seine persönlichen Hintergründe und schulischen Leistungen aus. So konnte zunächst sicherge-stellt werden, dass sich die Kinder in beiden Gruppen hinsichtlich wichtiger Variablen wie Schulleis -tungen, Sozialstatus, musikalischen Vorerfahrungen und Durchschnittsalter (selbst in derselben Jahr -gangsstufe nden sich große Unterschiede im individuellen Alter) nicht überzufällig unterschieden. Wichtig ist, dass nur eine teilweise Selbstselektion der Gruppen vorlag. Zwar sind die Informationen über das Selbstwahlverhalten nicht vollständig, doch wissen wir von mehreren Fällen, in denen das betreffende Kind von den Eltern in der Chorklasse gegen seinen Willen angemeldet wurde.