Musikalische Affekte, Wohlbe nden und Gesundheit 79 sikalischen Kenngrößen des Stimmfeldes kann ferner ein Index für die gesundheitli -che Qualität der Stimme, der so genannte Dysphonie-Index, errechnet werden. Je höher der Index, desto besser die Qualität der Stimme. Stimmfeldmessungen zu Be-ginn des Schuljahres zeigten, dass sich die Stimmfelder der Kinder zwischen den Gruppen statistisch nicht unterschieden. Keines der Kinder hatte stimmlich-medizi-nische Auffälligkeiten. Dies traf auch nach den Stimmfeldmessungen neun Monate später für alle Kinder zu. In nahezu allen wichtigen Kennwerten des Stimmfeldes legten die Kinder in der Chorklassengruppe deutlich zu: der Tonhöhenumfang um sieben bis acht Halbtöne (40 % des ursprünglichen Umfangs) und die Dynamik der Stimmen um sechs Dezibel (70 % des ursprünglichen Umfangs). Kinder in der Kon-trollgruppe zeigten dagegen über das Schuljahr hinweg keine besonderen Verände-rungen in ihren Stimmfeldern. Daran gemessen nahm die Qualität ihrer Stimmen nicht zu. Dies erstaunt etwas, da sich die kindliche Stimme in einem Entwicklungs-prozess be ndet und sowohl physiologische Reifung als auch das tägliche Sprechen ebenfalls Übungseffekte über die Zeit ausbilden sollten. Doch dieser Annahme wi-dersprechen die vorliegenden Ergebnisse.Varianzanalytische Betrachtungen fördern einen wichtigen Aspekt zutage: Die statistische Effektstärke, gemessen am partiellen Eta-Quadrat,29 erzielt einen Wert für die Stimmfeldverbesserungen in der Modellgruppe von 0,28. Dieser Wert belegt eine starke, lebensweltlich höchst relevante Wirkung des Singens im Sinne einer Prophylaxe. Die Flexibilität der Kinderstimme weist zugleich auf einen erhöhten Schutz des Stimmapparates hin. Mit großer Wahrscheinlichkeit gehen die Beobach-tungen hier im Übrigen nicht auf Artefakte in der Stichprobenauswahl (Selbstselek-tion, Hawthorne-Effekte etc.) zurück, welche die Validität der Beobachtungen unter-graben könnten. Schließlich zeigt die Untersuchung, dass langfristige und regelmä-ßige Stimmbildung eine funktionale Grundlage für den Erwerb von Liedrepertoires bietet, wie es die eigentliche Zielsetzung des Chorklassen-Konzeptes vorsieht. Wenn nach diesen Initialbefunden also Vertrauen in pädagogische Stimmbil-dungsmaßnahmen bei Fünftklässlern zu setzen ist, welche Konsequenzen hätte dies für Praxis und Forschung von gesangsorientiertem Musikunterricht? Während die Notwendigkeit stimmlicher Förderung für das Lehrpersonal längst erkannt ist,30 steht eine entsprechende Beachtung der kindlichen Stimmentwicklung in der Schule noch aus, wenngleich alarmierende Zahlen zur Stimmgesundheit von Kindern und Jugendlichen bereits vorliegen.31 Weitere Untersuchungen zum Singen und zur Stimmbildung in der Schule sind also notwendig. Lernsphären zwischen Lehrern und Schülern zu schützen und zugleich didaktische Interventionen mit geeigneten empirischen Methoden zu untersuchen schließen sich nicht aus. Nur so ist die Pra-xis des Lernens in Singgruppen zu verstehen und sind nachhaltige Konzepte zu ent-29 J. Cohen, Eta_ Squared and Partial Eta_ Squared in xed factor ANOVA Designs. Educational and Psycho-logical Measurement, 33, S. 107–112, 1973.30 Heiner Apel, Strategien zur Prophylaxe von Stimmerkrankungen und Schonung der Stimme im Un-terricht, in Magnus Gaul, Simone Lang, Hrsg., Voice Coaching: Zum richtigen Umgang mit der Stimme im Lehrberuf, Schneider Verlag, 2012, S. 152–168.31 N. P. Connor, S. B. Cohen, S. M Theis, S. L Thibeault, D. G. Heatley, D. M. Bless, Attitudes of children with dysphonia, Journal of Voice 22(2), 2008, 197–209.