Musikalische Affekte, Wohlbe nden und Gesundheit 81 Ein systematischer Überblick zu Studien über Wirkungen des Chorsingens auf die allgemeine Gesundheit im Laienbereich 38 kommt zu dem Ergebnis, dass die me-thodische Qualität vieler Studien zu wünschen übrig lässt, und dass mangelnde Be-zugnahmen zwischen einzelnen Untersuchungen die Theoriebildung einschränken. Trotz solch ungünstiger Vorzeichen sprechen mehrere Befunde für langfristig positi-ve gesundheitliche Effekte gemeinsamen Singens. In einigen Studien spielen Hor-mone wie Cortisol und Proteine wie Immunoglobulin A (IgA) eine besondere Rolle. Cortisol ist ein Stresshormon, das in Hirnanhangdrüse (Hypophyse) und Nebennie-renrinde gebildet wird. Es erfüllt vielfältige Funktionen im Organismus und ist auch Indikator der generellen Aktivierung. Immunoglobulin A ist ein Protein, das in den Schleimhäuten der oberen Atemwege gebildet wird. Unter den Immunoglobuli-nen ist es quantitativ am stärksten vertreten und dient dem Schutz vor bakteriellen und viralen Infektionen. Robert Beck und Mitarbeiter 39 fanden in ihrer Untersu-chung unter ambitionierten Laiensängern ein hohes Maß positiver Einstellungen und Erfahrungen. Sie konnten ferner feststellen, dass sich verschiedene Gesangsbe-dingungen unterschiedlich auf Cortisol- und IgA-Konzentrationen auswirkten: Die psychisch beanspruchende Konzertsituation schlug sich in erhöhten Cortisol-, die Probenbedingung in absinkenden Cortisol-Werten nieder. In beiden Bedingungen stiegen indessen die IgA-Werte beträchtlich an. Die replizierende, weiter oben zitier-te Untersuchung von Kreutz und Kollegen konnte zwar im Gruppenmittel nicht ganz so starke Zunahmen der IgA-Konzentrationen über einen Zeitraum von einer Stunde feststellen; entscheidend ist allerdings, dass die Kontrollbedingung kein Sin-gen, sondern das Anhören von Chormusik vorsah, so dass die beobachteten Verän-derungen dem Singen und nicht der Präsenz von Musik zugeschrieben werden konnten. Neben den Speichelproben wurde subjektives emotionales Be nden mit einem psychometrischen Inventar ebenfalls zu Beginn der Untersuchung sowie eine Stunde später individuell erfasst. Die Muster der Veränderungen unterscheiden sich wiederum deutlich zwischen den Bedingungen. Nach dem Singen konnten höhere Werte im Bereich der positiven und niedrigere Werte bei den negativen Affekten verzeichnet werden. Fast umgekehrt verhielten sich die Änderungen nach dem An-hören von Chormusik. Dass eine Chorprobe mit Singen und nicht eine Probe mit dem Charakter mentalen Übens erwartet wurde, könnte zur Verstärkung negativer Affekte geführt haben. Auch die Zuwächse positiver Gestimmtheit blieben unter dieser Bedingung aus.Zusammenfassend ist festzustellen, dass psychophysiologische Wirkungen des Singens in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen festzustellen sind. Die hier bei-spielhaft dargestellten Untersuchungen ließen sich durch weitere Fragestellungen, Methoden und Zielgruppen ergänzen. Einfüsse auf beobachtete Wirkungen, die 38 Stephen Clift, Jennifer Nicol, Matthew Raisbeck, Christine Whitmore, Ian Morrison, Group singing, wellbeing and health: A systematic mapping of research evidence, UNESCO OBERVATORY Journal, 2(1), 2010, S. 1–25.39 Robert J. Beck, Thomas Cesario, Shookooh Youse , Hiro Enamoto, Choral singing, performance per-ception, and immune system changes in salivary immunoglobulin A and cortisol, Music Perception, 18(1), 2000, S. 87–106.