130 Norbert Schläbitz Wenn, wie mancherorts gepfegt, sogenannte musikalische Meisterwerke zu später Abendstunde Badestrände beschallen, damit auch die letzten Strandgänger endlich füchten, wissend, dass das nicht gefragte Publikum dieser Musik die überlieferte Anerkennung versagt und lieber füchtet, sieht man die Kultur und das Menschen-geschlecht mitunter insgesamt gefährdet. (Vielleicht kommt mancher beim Lesen solcher Verhaltensweisen selbst möglicherweise zu einem ähnlichen Urteil.) Mit ei-nem einmal quasi-ontologisch grundierten Wert stellt sich die Flucht vor klassischer Musik an Badestränden als Banausentum dar und lässt weitergehende Urteile von mangelnder Bildung zu. Wie anders aber stellt sich die Sache dar, wenn man die Voraussetzungen prüft, die zu dem feststehenden Meisterwerk-Urteil führten, die ins frühe 19. Jahrhundert führen und sich einerseits in den romantischen Kategorien des Zeitlosen, Universalen spiegeln und anderseits sich spiegeln in der Verabsolutierung der Parameter von Tonhöhe und Tondauer im Notentext bei werkimmanenter Betrachtung unter Au-ßerachtlassung von Rezeptions- und Interpretationsgeschichte. So entstehen musi-kalische Denkmäler mit Ewigkeitswert, wohlgemerkt nicht » an sich « , sondern kom-munikativ beabsichtigt. Gefällte Urteile haben offenkundig so ihre kommunikativen Gründe, und Gründe und damit Wertschätzungen mögen sich schlicht ändern. Es gehen daher trotz füchtender Menschen vor klassischer Musik an Badestränden (oder sonst wo) keine Bildungswerte verloren, sondern die Bildungswerte unterlie-gen der Veränderung nur. Eine andere Bildung ist auf den Weg gebracht, die sich im Zuge der neuen Me-dienentwicklungen und heute vornehmlich in Kommunikationsnetzwerken der Ge-genwart ausgeprägt hat. Vorgefertigte Wertschätzungen von festgezimmerten Mu-sikdenkmälern haben es in Kommunikationsnetzwerken, die sich durch Verände-rungen auszeichnen, schwer sich zu beweisen, insbesondere wenn die sie umlaufen-de traditionsgefestigte Kommunikation – die der vagabundierenden oder füchtigen Internetkommunikation eher misstrauisch gegenübersteht – festgesetzte Urteile blank in die Zukunft fortschreiben will. Denkmäler allerdings zerfallen in Netzwer-ken zu Pixelwelten oder in Datenströme.Waren Denkmäler einst » zur Hälfte Erinnerung an etwas Vergangenes und zur anderen Hälfte Anspruch auf etwas Kommendes « (Assmann 1993, S. 57), so können nicht nur Musikdenkmäler nicht mehr den wertschätzenden Anspruch auf das über sie in die Zukunft Hinausweisende einfordern. Die im Internet laufende Kommuni-kation folgt einer anderen Idee, wie sich Wertschätzungen und damit auch Bildung und Kultur generieren und was Wertschätzungen auszeichnet, und folgen so auch einer anderen Idee von Musik, die weniger vorformulierte Fremdurteile mit prokla-mierten Ansprüchen schätzt, sondern die diese durch Eigenurteile ersetzt und da-mit vorformulierte Setzungen von Ansprüchen zurückweist. Denkmäler grundsätzlich – und nicht weniger Denkmäler der Kunst – hatten einen prominenten Ort wesentlich im ausgehenden 18. und fraglos im 19. Jahrhun-dert mit dem Blick auf den Nationalstaat, für den Denkmäler eine große Symbol-kraft hatten (vgl. Telesko 2010). Sie waren Orte, in denen die Nation sich öffentlich