134 Norbert Schläbitz bietet sich auch das Nachdenken darüber, ob die überkommenen Vorstellungen von Bildung und Kultur überhaupt es wert sind, in die Gegenwart transportiert zu wer-den. Sind die Effekte, die mit ihnen verbunden scheinen, überhaupt als realistisch anzunehmen? Wie schließlich stellte sich eine Gesellschaft dar, in denen sie unange-fochten galten? Waren die aus Bildung und Kultur erwachsenen Leitideen und Menschbilder human, sittlich geprägt? Waren die Orientierungen, die sie boten, so gestaltet, dass ein friedliches Nebeneinander, ein humanes Füreinander und die Sor-ge umeinander die Folge waren? – Oder waren die Gesellschaften, die die eigene Kultur erhoben zur Hoch-Kultur (und damit andere Kulturen zwangsläu g der ge-genläu gen Wertschätzung anheimgaben) und die die Objekte der eigenen Kunst ins Zeitlose transferierten, im Vergleich zu heutigen Gesellschaft vergleichsweise in-tolerant und inhuman? Zumindest eines lässt sich – vielleicht sogar mehrheitlich unbestritten – feststellen: » Nichts, gar nichts war früher besser « (Helmut Schmidt). Wo Fundamente weggespült werden, scheinen zwar Klagen verständlich, aber nicht hinreichend begründet. Denn Veränderungen in der medialen Struktur haben über die Zeiten hinweg stets zur Dezentralisierung von Wissen sowie zur Vervielfäl-tigung desselben geführt und dabei gesellschaftliche Veränderungen befördert, die eine Rückkehr zum überholten Status Quo des Vergangenen noch nie haben sehr at-traktiv erscheinen lassen – zu inhuman nach heutigen Maßstäben waren jene Zeiten – auch jene Zeiten, in denen eine humanistische Bildung mit ihren selbstgewissen Werten gesellschaftliche Prozesse bestimmte. Die Metapher von der Bildung, die dem Menschen diene Die unübersichtlichen Verhältnisse der Gegenwart und die mangelnde Orientierung sollen durch Reaktivierung (neu-)humanistischer Bildung nach Wilhelm von Hum-boldt geheilt werden. Dieser hatte Bildung zuvorderst als zweckfrei angenommen. So schrieb einst Wilhelm von Humboldt: » Im Mittelpunkt aller besonderen Arten der Thätigkeit nemlich steht der Mensch, der ohne alle, auf irgend etwas Einzelnes gerichtete Absicht, nur die Kräfte seiner Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Werth und Dauer verschaffen will « (Humboldt 2007, S. 94). In Auseinandersetzung mit einem gegenständlichen Stoffe mag sich eine harmonische Entfaltung und ein Ausgleich der » Kräfte « einstellen, mögen Verstand, Einbildungskraft wie sinnliche Anschauung in Auseinandersetzung mit jenem Stoffe oder Gegenstand Gesetzmä-ßigkeiten der Welt erkennen. » Was also der Mensch nothwendig braucht, ist bloss ein Gegenstand, der die Wechselwirkung seiner Empfänglichkeit mit seiner Selbst-thätigkeit möglich mache. Allein wenn dieser Gegenstand genügen soll, sein ganzes Wesen in seiner vollen Stärke und seiner Einheit zu beschäftigen; so muss er der Ge-genstand schlechthin, die Welt seyn, oder doch (denn diess ist eigentlich allein rich-tig) als solcher betrachtet werden « (ebd., S. 96). Privilegierter Gegenstand der Auseinandersetzung wäre die Kunst. Die Beschäf-tigung mit Kunst könne somit zur kulturellen und auch moralischen Selbstbildung führen. Als Essenz stünde am Ende eine individuell verfahrende Bildung, die den