136 Norbert Schläbitz Funktion des Individuums in einem Sozialverband, auf das Gemeinwesen för-dernde und verbessernde Tätigkeit « (Konrad 2007, S. 33), und er glaubt dies recht optimistisch in einem gemeinsamen Musizieren schon ausgemacht zu sehen. Recht besehen hat oder haben diese Vorstellung(en) zwar eine große Strahlkraft, halten aber einer schon nur oberfächlichen Prüfung selten stand. Einige zugegebenerma-ßen eklektisch ausgesuchte und plakative Beispiele vorab:-Schon ein kurzer Blick auf die Lebensverhältnisse des 19. Jahrhunderts und damit auf die Hochzeit der Meisterwerkekultur lässt Zweifel am humanen Wesen anmelden, wo die Massen in Elendsquartieren hausten und eine auf-strebende Bildungselite kaum Anstoß daran nahm bzw. häu g das verur-sachte Elend um des eigenen Vorteils willen zu verantworten hatte. Jenseits des Salons und der Konzertsäle fanden die » Veredelung « des Menschen schon ihr abruptes Ende bzw. spielten die unterstellten Effekte von Bildung und Kultur nicht ansatzweise die Rolle, die man ihnen zumaß. Soziale Er-rungenschaften sind in der Regel politischem Kalkül entsprungen oder so-zialen Verwerfungen, die sich in Revolten Ausdruck verliehen nebst Folgen zeitigten, aber nicht einem Bildungsbürgertum, das sich aufgrund seiner sittlich geprägten Charakterschulung im breiten Maßstab für die Belange der sozial Benachteiligten einsetzte.-Welche humanistische Gesinnung mag sich hinter einer Äußerung wie der des Musikkritikers Eduard Hanslick – einem fraglos hochgebildeten Geist seiner Zeit – verbergen, der einst bekundete: » Wen ich vernichten will, den vernichte ich « (Hanslick, zit. n. Rizy 2009, S. 95).-Und welches ethische Bewusstsein, geschult durch die Kunst und der Aus-einandersetzung mit Form und Inhalt, kommt im folgender Äußerung zum Ausdruck, die dem missliebig Anderen mit folgenden Worten begegnete: » Aber jetzt kommt die Abrechnung! […] Jetzt werfen wir diese mediokren Kitschisten wieder in die Sklaverei, und sie sollen den deutschen Geist ver-ehren und den deutschen Gott anbeten lernen « (Ross 2009, S. 86). Der Künstler, der diese Sätze formuliert, ist kein Nationalsozialist, wie man meinen könnte, sondern Arnold Schönberg, der von der eigenen Kunst und Hochkultur so beeindruckt war, dass er anderen, die eine andere Kultur pfegten, dieses Schicksal – zumindest kommunikativ – zumaß.-Über Wagner sei an dieser Stelle gleich geschwiegen, aber nicht über Ri-chard Strauss, über den Klaus Mann nach einem Interview kurz nach dem 2. Weltkrieg schreibt: » Die Naivität, mit der er sich zu einem völlig ruchlo-sen, völlig amoralischen Egoismus bekennt, könnte entwaffnend, fast erhei-ternd sein, wenn sie nicht als Symptom sittlich-geistigen Tiefstandes so er-schreckend wäre. […] Ein Künstler von solcher Sensivität – und dabei stumpf wie der Letzte, wenn es um Fragen der Gesinnung, des Gewissens geht! Ein großer Mann – so völlig ohne Größe!« (Mann 1997, S. 368f.). Der