140 Norbert Schläbitz lender Kunst erhebt Adorno in der Negativen Dialektik zum Problem, wenn er schreibt, dass in Philosophie, Wissenschaft und Kunst, » im emphatischen Anspruch ihrer Autarkie « (Adorno 2003, S. 357), die Unwahrheit haust und drückt damit nicht weniger aus, als dass gerade dort, wo die sogenannte Autonomie unterstellt wird, die Lebenswirklichkeit zugunsten des verfochtenen Ideals aus den Augen verloren wird. Jede noch so sehr dem Menschen dienende Idee, die a-historisch und kontextun-bezogen gedacht wird, erfährt ihre inhumane Wandlung. Auf eine allgemeine Ebene gehoben: Wer sich nicht am Menschen orientiert, sondern an einer Idee (um des Menschen willen), vergeht sich am Menschen (um der Idee willen). Wer das Absolute zum Ideal er-hebt, sieht gar zuletzt die Pficht auf sich zukommen, mit gutem Gewissen unter an-deren zu wüten – eben auch jenseits faschistischer Ideologie. Schon Schönbergs Äu-ßerungen zeigten nicht gerade einen menschenfreundlichen Hang Andersdenken-den oder -fühlenden gegenüber. Thomas Manns » Betrachtungen eines Unpoliti-schen « wiederum lassen einem infolge der » reaktionären Positionen fast auf jeder Seite der Atem « stocken, wie Max Fuchs schreibt. Eine » konzise Beschreibung deutsch-bürgerlicher Mentalität « urteilt Max Fuchs über die Betrachtungen eines Un-politischen und einer weiteren Schrift mit ähnlich drakonischem Inhalt, bei denen ei-nem infolge der » reaktionären Positionen fast auf jeder Seite der Atem stockt « (ebd.). Für Thomas Mann schließen sich Kultur und Barbarei nicht aus, sie sind nicht das Gegenteil von Barbarei « , wie er in seinen » Gedanken zum Kriege « schreibt (Mann, zit. n. Martynkewicz 2009, S. 225) und Wolfgang Martynkewicz kommen-tiert: » Anders gesagt: Kulturbürger und Gewaltmensch schließen einander nicht aus, sie sind vielmehr, wie Mann an der Beziehung von Kunst und Krieg demons-triert, schöpferisch aufeinander bezogen « (ebd.). Der Künstler wäre despotisch und autoritativ seine Kunst, ausgestattet zudem mit einem Sendungsbewusstsein. Aus dieser Verwandtschaftsbeziehung zwischen Kunst und Gewalt hebt Thomas Mann an zur Laudatio des zu begrüßenden I. Weltkrieges, in dem Deutschland die » Syn-these zwischen Geist und Macht « suchte, wie er formulierte (ebd., S. 237). Angesichts von Auschwitz oder Buchenwald und der vielen anderen Gräuelta-ten ohnehin, aber auch – jenseits dieser Ideologie – angesichts einer sich leicht ver-selbstständigen hypertropher Kulturwert(über)schätzung ist der Glaube an eine hu-manistische Bildung nebst Vorstellungen ihrer einseitig positiv konnotierten Effekte nicht sehr plausibel. Den Praxistest hat die humanistische Bildung in dem Moment, wo es darauf ankam, nicht bestanden. Die Proklamation humanistischer Bildung und das Bedauern darüber, dass diese nunmehr mit dem neuen Leitmedium Inter-net verlorengeht, heute blendet jene dunkle Seite von Bildung schlicht aus und be-tont einseitig positive Effekte. Diese immer wiederkehrende Proklamation von Kunst mit ihrem Bildungswert schreibt sich gänzlich a-historisch und insgesamt auf bedenkliche Weise unrefektiert. Im Umkehrschluss mag man die These vertreten, dass mit der Verabschiedung der so begriffenen neu-humanistischen Bildung eine humane Gesinnung vielleicht viel eher eine Chance hat, weil das neue Leitmedium Internet mit den in Szene ge-