152 Arne Bense Charles S. Peirce widersprach einer oftmals vorzu ndenden synonymen Verwen-dung von » virtuell « und » potentiell « :Ein virtuelles X (wobei X ein allgemeiner Begriff ist) ist etwas, das zwar kein X ist, aber die Wirksamkeit (virtus) eines X hat. Das ist die richtige Bedeutung des Wortes, es wurde jedoch weitgehend mit ›potentiell‹ verwechselt, was bei-nahe sein Gegenteil ist. Denn das potentielle X hat die Natur eines X, hat aber keinerlei tatsächliche Wirksamkeit.12 Mit diesem Versuch der Rückbesinnung auf virtus, der Betonung von Kraft oder Wirksamkeit der Virtualität wird aus dem Oxymoron VR nahezu ein Pleonasmus. Doch auch bei Peirce weist ein virtuelles X stets einen Bezug zu etwas auf, das vir-tualisiert wird und als » Original « verstanden werden kann: Virtualität bleibt ver-dächtig, ein X nur zu simulieren. Stefan Münker trennt infolge Simulation und Vir-tualität und stellt heraus, dass Virtualität nicht nur referentiell verstanden werden muss. Simulation beinhaltet eine Referenz auf etwas anderes, während Virtualität auf nichts anderes als sich selbst verweist.13 Diese Versuche, doch noch eine » richti-ge « De nition der Virtualität zu nden und etymologische Verirrungen gleicherma-ßen zu korrigieren, bleiben letztlich aussichtslos. Ohnehin hat in den letzten Jahren ein allmählicher Prozess begrifficher Transformation stattgefunden.Von der Virtuellen Realität zum Erweiterten Raum Verglichen mit seiner Blütezeit in den 1990er Jahren ist der Begriff » Virtuelle Reali-tät « heute aus dem Diskurs über digitale Medientechnologien nahezu verschwun-den. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen ist allein die Technik, die hinter diesem Begriff steht, kein Massenprodukt geworden. Das Dispositiv VR, wie es von Pionie-ren wie Jaron Lanier und VPL Research ursprünglich vorgesehen war, sollte eine immersive, multimodale Verfasstheit sein, die den User mittels Datenbrillen, -hel-men, -handschuhen und Kopfhörern komplett von seiner gewohnten Umgebung (Lanier nennt dies die » physikalische Welt « ) abschneiden sollte. Die heute ubiqui-tären virtuellen Schreibtische und Arbeitsfächen der Personal Computer werden zwar ebenfalls gelegentlich als » Virtuelle Realität « bezeichnet, sind es aus dieser strengen Perspektive heraus jedoch nicht. Interfaces der Cyber-Visionen und ihr Pa-radigma der Immersion sind, zumindest bis auf weiteres, zur Retro-Zukunftstech-nologie geworden. Zum Zweiten ist momentan das Internet als Kommunikations-medium im Fokus der Betrachtungen zur Virtualität. Die instantanen Verschaltun-gen der social networks, blogs oder Foren bewirken einen technikkulturellen Wan-del, der die Gesellschaft vor ähnlich große Herausforderungen stellt wie die Einfüh-rung der Sprache, der Schrift oder des Buchdrucks. Die Beobachtung dieser Trans-formationsprozesse durch neue Kommunikationsmöglichkeiten bestimmt die aktu-elle Debatte über Virtualität. Auch die Tatsache, dass VR allgemein bereits recht 12 Peirce 1967: 228.13 Vgl. Münker 2005.