154 Arne Bense Virtuelle Instrumentenkunde Diese Virtualitätstheorie sagt bis hier nicht viel mehr aus, als dass ein virtuelles Ob-jekt eine spezielle Form des Raums ist und nicht durch die cartesianische Kluft von der » Realität « getrennt werden kann. Virtuelle Objekte und » reale « eint das gleiche Medium, welches » an sich « immer schon konstruiert ist. Diese virtuellen Formen können Artefakte sein, die zur Produktion von Musik benutzt werden – eine letzt-lich triviale Feststellung. Wir wissen aber immer noch nicht, was ein virtuelles In-strument ist. Metaphorik jedoch, so die Vermutung, hilft hier nicht weiter. So führen die folgenden Ausführungen ein paar Schritte zurück in die Geschichte des Instru-mentenbaus und fußen auf der Idee der Modularisierung des Musikinstruments. Für Bernd Enders ist die Modularisierung ein entscheidender Faktor in der Ent-wicklung von Musikinstrumenten.16 Die Elektri zierung führte hier zu einer voll-ständigen Loslösung der Klang erzeugenden von den Klang steuernden Bestandtei-len. Seit dem Modulsynthesizer oder der Verwendung von Reproduktionsmedien wie dem Plattenspieler als Instrument ist es nicht mehr möglich, eine Systematik der Instrumente aufrecht zu erhalten, die auf physikalische Umstände der Klanger-zeugung – das Material oder oszillierende Bestandteile – abhebt. Modularisierung ist jedoch nicht bloß ein Phänomen der elektri zierten Musikinstrumente. Sie tritt zuerst bei der Kirchenorgel zutage, die bereits eine klare Trennung von Spieltisch (Interface, Controller) und Pfeifen (Klangerzeuger, Generator) aufweist.17 Die mo-dulare Kirchenorgel mit ihrer Trennung von Interface (Spieltisch) und Klangerzeu-ger (Orgelpfeifen) ist Ansatzpunkt der ersten beiden Strategien.Wenngleich diese Trennung von Interface und Klangerzeuger bei Bernd Enders und – ihm hier noch folgend – Michael Harenberg grundsätzlich gleichermaßen festgestellt wird (die Orgel ist also der Vorläufer des Synthesizers & virtueller In-strumente), werden die Folgen dieser Trennung jedoch unterschiedlich interpretiert. Bei einer ersten oberfächlichen Betrachtung in einem Versuch der Verortung digita-ler Virtualität können drei sehr unterschiedliche Strategien ausgemacht werden, die gleichzeitig für unterschiedliche Instrumentendesigns stehen.Virtuelle Instrumente im akustischen Cyberspace Für Michael Harenberg führt die Kirchenorgel fundamentalere Unterscheidung ein als eine bloße Trennung von Controller und Generator. Die Register der Orgelpfei-fen werden als Klangerzeuger zum » eigentlichen « Instrument, das Interface wird zum letztlich austauschbaren » Gadget « . Die Orgelpfeifen sind die späteren Musik-programme – virtuelle Instrumente des akustischen Cyberspace, deren generative Struktur virtuos beherrscht werden muss. Bei der Klärung der Frage, ob eine solche Identi kation von Programm und Instrument sinnvoll durchzuführen ist, hilft ein Blick in die Entstehungszeit der Computermusik. Die von Max Mathews entworfe-16 Enders 2005: 33.17 Vgl. Enders 2005, Harenberg 1999.