» Sonic Fiction « – Zum Begreifen musikalisch-medialer Gestaltung 167 Abb. 1: Sun Ra (Videostill aus Space is the Place, 1974)Während sich der überwiegende Teil des Afrofuturismus-Diskurses zunächst pri-mär auf die politischen und gesellschaftlichen Fragen richtet (in Deutschland etwa durch die Berliner Konferenz » Loving the Alien « , 1998 13 ), hat gleichzeitig Kodwo Eshun die Diskussion um den technikkulturellen Modus der Musik – über die in seinen Worten Sonic Fiction – neu angestoßen und nachhaltig beeinfusst.Wo sich die KritikerInnen der Cyberkultur noch immer versammeln, beklagen 99% davon die Entkörperlichung des Menschen durch die Technologie. Aber Maschinen entfremden uns NICHT von unseren Emotionen, das Gegenteil ist richtig. Soundmaschinen verstärken, was man emp ndet, verteilt über ein brei-teres emotionales Spektrum als je zuvor im 20. Jahrhundert.14 Damit ist eine wesentliche Klarstellung erfolgt: Es geht hier nicht um Verlustrheto-rik, sondern um eine Gegenwart, in der Entfremdung und machtvolle Fremdbestim-mung durch die Medien-Maschinen der Kulturindustrie niemals stattgefunden ha-ben. Die Maschinen des Hiphop und Techno, die Plattenspieler, Sampler und Syn-thesizer sind in dieser Sicht keine technischen Fremdkörper, sondern Verbündete oder gar Teil der Musiker, sie sind im McLuhanschen Sinne extensions of man für das Leben in einer hybriden technohumanen Wirklichkeit. So futuristisch dieser Gedan-ke zunächst sein mag, so vertraut ist er uns im Grunde in der Vorstellung des Eins -werdens von Mensch und Instrument im musikalischen Spiel. Auf die Frage » was bedeutet Ihnen die Trompete?« antwortet der Trompeter Håkan Hardenberger bei-spielsweise direkt im ersten Satz: » Sie ist ein Körperteil.« 15 Allerdings sind die neu-en instrumentalen Maschinen komplexer als Mundstücke, Klappen-Mechaniken oder Anschlagmechanismen, sie sind im maschinellen, automatischen Sinne genera-tiv, und sie erfordern auf einer anderen Ebene Analyse und Abstraktion als traditio-nelle Instrumente. Diese Differenz hat Konsequenzen bis weit in den Prozess der 13 S. a. Diedrich Diederichsen, Hrsg., Loving the Alien. Science Fiction, Diaspora, Multikultur, Berlin 1998.14 Eshun 1999, Einleitung S. -003.15 Interview in concerti, Broschüre zum Hamburger Musikleben, Februar 2012, S. 8.