168 Rolf Großmann musikalischen Gestaltung hinein: Durch die direkte Interaktion mit den strukturel-len Pattern klanglicher Synthese und der phonographischen Schrift bekommt die Gestaltung eine zusätzliche Abstraktionsebene und erhält einen quasi-wissenschaft-lichen Charakter. Der DJ wird zum Klangforscher, der die Strukturen eines Break-beat freilegt und nutzbar macht. Die » Breakbeat Science « , die Eshun am Anfang des entsprechenden Kapitels kurz umreißt, bevor der berühmte Grandmaster Flash-Track The Adventures of Grandmaster Flash on the Wheels of Steel (1981) ausführlich analysiert wird, folgt die-ser Logik und ist ein Frontalangriff auf Theorievorstellungen westlicher Wissen-schaft. Hier ist der Alchemist aktiv, der Künstlerwissenschaftler, der das phonogra-phierte Material formt, ein Chirurg im Benjaminschen Sinne, der eben nicht Fran-kenstein-Monster erschafft, sondern die neuen Kunstwerke im Zeitalter ihrer Repro-duzierbarkeit.Grand Wizard Theodore, DJ Kool Herc und Grandmaster Flash sind menschli-che Sampler, die den Breakbeat isolieren, indem sie mitten in die Funkmaschi-ne schneiden, den Song rausreißen und wegschmeißen und Intention ebenso wie Tradition ignorieren, um die Bewegung der Maschine einzufangen [im englischen Original » to capture its motion « , RG]: die Ladung und die Zugkraft des Beats und des Basses, die Gangart, die vom Direct Drive des Decks motori-siert wird.16 Das Motion-Capturing, auf das im Zitat angespielt wird, ist eines der oft gebrauch-ten Bilder bei Eshun. Es verbindet die analoge Praxis der Turntables mit der digita -len Welt der gestischen Steuerung lmischer Animation. Motion-Capturing ist ein Verfahren aus der 3D-Animation, das es erlaubt, über Markierungspunkte an Kör-per und Gesicht Gestik und Mimik realer Personen in die digitale Umgebung der Steuerparameter zu übertragen. Es ist Eshuns Metapher für die medientechnische Abstraktion und Extraktion organisierter Zeit, für eine ästhetische Operation der Übertragung und Transformation: » Der Breakbeat ist ein Motion-capture-Apparat, eine ablösbare Rhythmaschine, ein beweglicher Rhythmotor […]« 17 16 Eshun 1999, S. 19.17 Eshun 1999, S. 15.