» Sonic Fiction « – Zum Begreifen musikalisch-medialer Gestaltung 171 gesetzt aus Cyborg und Elektronik, als elektronische Version und Vision des Posthu-manen, angeregt von der Roboterästhetik der deutschen Gruppe Kraftwerk. Der Cybotron ist der elektronische Cyborg, der Alien, der sich in der Fremde zuhause fühlt, von der Tradition aus dem Zentrum geworfen, glücklich ent-fremdet in den Lücken, über die hinweg sich der elektrische Strom überträgt.23 In der Lesart Eshuns eignet sich der schwarze Techno Detroits, der Cybotron, die Menschmaschine Kraftwerks an und transformiert sie so zu einem technisch-menschlichen und weiß-schwarzen Hybridwesen. Kraftwerks » Ultraweißheit einer automatischen, sequentialisierten Zukunft « und britischer Synthpop werden impor-tiert und neu zusammengesetzt. Techno hört » mit dem Importohr, einem syntheti-schen Ohr. Techno singt mit Vinylakzent, den man von englischen Körpern abge-trennt hat wie einen Kopf, und der dann über den Atlantik gewandert ist.« 24 Das Bild des synthetischen Ohrs ist verwandt mit den einige Jahre früher ent -worfenen Anthropomorphien Arthur Krokers, die vom Cyberpunk inspiriert sind. In » Spasm « entwirft er das Bild des digitalen Ohrs, das direkt an die Datenströme einer digitalen Samplermusik ankoppeln kann. […] eine Geschichte des mutanten Ohres, die in Anspruch nimmt, dass das biologisch determinierte Ohr verschwunden ist, um durch ein rekombinantes Ohr ersetzt zu werden. Das digitale Ohr, das zuerst bei der Umwandlung von Biologie in Daten existierte, kann bereits auf der dunklen und unerforschten Seite der virtuellen Realität sein, weil es in der Samplerkultur das leise Mi-schen und Neumischen der Daten hören kann. Ein Samplerohr kann den Klän-gen der virtuellen Realität zuhören […]25 Für diese Metaphorik des Hybriden steht allerdings nicht, wie bei Eshun, eine breite kulturelle Praxis von Hiphop bis Dub Pate, sondern eine ganze Palette philosophi-scher und gesellschaftskritischer Theoriebruchstücke sowie eine Künstlertheorie der musikalischen Experimente Steve Gibsons. Die begriffichen Steinbrüche, seien es Ansätze von Theodor W. Adorno, Jean Baudrillard oder Gilles Deleuze, aus denen sich Kroker bedient, sind bereits aus einigen Sätzen herauszulesen:Wie früher Werbung, Mode und Kino regiert heute die Musik als herrschendes Ideogramm der Macht. […] Es ist das Simulationszeitalter der Designersubjek-te, wo die Warenform vor allem ästhetisiert werden muss, um ihr endloses Zir-kulieren auf den Trümmern der verführerischen Objekte der Konsumkultur zu gewährleisten. […]Da sie nicht mehr nur Simulation ist, ist Musik nun der Schlüsselcode für den postmodernen Körper als Kriegsmaschine. Musik also als ein Kräftefeld, das 23 Eshun 1999, S. 120.24 Eshun 1999, S. 119.25 Kroker 1996, S. 67.