196 Bernd Ternes (mit Hans Peter Weber)VII Verstehen der und durch Musik ist als mantisches Verstehen zu verstehen: Weder versteht das Medium unter künstlerischer Intention semantisch noch versteht es etwa durch kognitiv geführte Beobachtung. Sein Verstehen gerät gerade in die Ver-windung dieser prosaischen Zerebralleistungen. Erstens ist das Verstehen ein » Ver-stehen auf « (das Medium versteht sich auf uns, auf unsere Personal- und Aggregat-kräfte). Und zweitens spielt sich das Verstehen zwischen Mantik und Phatik ab. In künstlerischem Einsatz muss sich das Medium auf uns Menschenkreaturen verstehen, auf unsere Zustände. » Ja, dieser kunsthafte Medien-Werk-Prozess ver-steht sich auf uns « heißt: in ihm nden sich die humankreatürlichen Personalkräfte und sozietiven Aggregatkräfte auf dem technisch-stilistischen Niveau der jeweili-gen ›Zivilität/Zeitgenossenschaft‹ annähernd durchgearbeitet. Das Medium versteht sich annähernd auf das Desaster und auch auf das Glück dieser Kräfte in ihrem Komplex, die uns (man-kind) jeweils kardinal ausmachen.13 Es ist der sozio-evolutionäre Stand von ›Kräften/Vermögen‹ wie etwa dem rei-nen Zivilisationsbegehren (aggregiert: social tness), dem gegenlaufenden Begehren nach Selbst-Curatierung, der Selbsthütung des Menschen, dem patenten Ordnungs-begehren, dem Kontakt- und/oder KommuniFikations-Begehren, der sich in der Person wie auch im sozialen environment (Aggregat) verstofficht. Das Verstehen richtet sich auf die Natur dieser Begehren, die nicht im kognitiv Cerebralen angesie-delt sind, sondern im Phatischen der chromatisch durchwirkten Cerebralität (mind), welche die Ef zienz ihres Wirkens als kreatürliche Stimmungen emp nden lässt. Das Phatische in dieser Kreaturalität ist eine Wirkmalstruktur der Gestimmtheit, in der Verschränkung von Persönlichem und Sozietivem. Phatisch meint durchaus den Zustand einer strukturellen Verwobenheit in diesem Agencement, das Kon-Tex-tierte, einen auftrennbaren und anschließbaren Zustand der Kontaktschöpfung, Ko-härenzschöpfung, jedoch nicht als Text oder gar als Begriff. Die phatische Natur ist zu-gleich phasenhaft, phasig, ephemer. Sie kann daher nur/eben angemutet werden; passiv, durch das tatsächliche innere Erleben, doch auch aktiv, durch ein schwach-aufmerksames Durcharbeiten unter kulturaler, kunsthafter Intention. Ein solches Durcharbeiten in künstlerisch versierter Hand zieht diese Wirkmalstruktur aus in eine Merkmalstruktur eigener Genese von Mantik.13 Die Personal- und Aggregatkräfte sind unpersönlich doch kreaturbestimmend. Sie sind nicht indivi -dual-psychisch. Das Subjektive kommt darin nicht zum Zug, eine Individualpsychologisierung ndet in den Gymnopädien kunsthaft geführter Medien nicht statt. Alles konzentriert sich auf die Personal -kräfte (der Kreatur) und die Aggregatkräfte (der Sozietät). Subjekte erweisen sich als token ihrer types; und darum können alle in die Mitteilung eines opportun erarbeiteten kulturalen Medienprozesses ein-treten, weil sie das Typische des Stands dieser Kräfte teilen, sie sind sich darin ähnlich. Der tragende Künstler einer Periode, eines Geschicks der Ausfaltung dieser Kräfte, muss allen dann quasi der Ähn-lichste sein, also derjenige, der sich am heftigsten der Erfahrung und Expression ausgesetzt hat – der Ostinate. Personal- und Aggregatkräfte sind auch nicht einfach nur Trieb – wie in der Titulierung » Triebstruktur und Gesellschaft « (Herbert Marcuse et al.) oder gar » Triebstruktur der Gesellschaft « unterstellt wird. Ihr Auftreten verdankt sich einem komplexen Wechselspiel von Attraktion und Schub (Treiber-Komponenten), die zusammen mit anderen Auslegungen (wie: Ordnung, patente Organisa-tion) eine bizarre chiastisch-dynamische Maschine formieren, zu deren Ausstattung auch retardieren-de, obhutliche Vermögen und Kräfte gehören, die Kräfte der Selbst-Curatierung.