Metaphern sind » Brotverwandlungen des Geistes « 209 1. Lernen ist Nahrungsaufnahme (Lernen als Aneignung von Wissen) In der Speisemetaphorik, die in der Philosophie schon früh belegt ist, wird der Intel-lekt als Leib aufgefasst, der nach Speise verlangt. Wir sprechen von » Wissensdurst « , » Erkenntnishunger « , manch einer hat gar die » Weisheit mit Löffeln gegessen « . Über das Kosten im Munde führt der Weg zum Schlucken, den Verdauungsprozessen in Magen und Darm: » Alles geistige Genießen kann daher mit Essen ausgedrückt wer-den « 33 , hält bereits Novalis fest. Äußerlich Gegebenes wird aufgenommen, um es in einem inneren Erkenntnisprozess zu Eigen zu machen. Als eine solche Parallelisie-rung von Essen und Erkennen, und Ernähren und Wissen, lässt sich auch das Ein-verleiben von Wissen im Rahmen pädagogischer Speise- und Verdauungsprozesse fassen. Im Unterricht wird dann die Kost mit Metaphern mundgerecht serviert, um besser aufgenommen und verdaut werden zu können.Wie jede Fachsprache, ist auch die Sprache der Pädagogik auf metaphorische Konzepte angewiesen, um Lernprozesse und Erziehungsziele in Worte zu fassen: » Die Sprache der Pädagogik basiert auf einem begrenzten Set epochenunspezi -scher metaphorischer Konzepte « 34 , stellt Alexandra Guski fest; sie verfolgt diese historisch konstanten metaphorischen Konzepte von schulischem Lernen in päd-agogischen Texten. Diese zeigen sich etwa der Konzeptionalisierung » Lernen ist Wachsen « , die den Lehrer als » Gärtner « betrachtet, der seine » Sprösslinge « wachsen lässt, diese aber auch » gießen « und seine » Pfanzen « gegebenenfalls auch » beschnei-den « muss. Die Speisemetaphorik gehört hier ebenfalls zu einem etablierten Feld: Bereits Johann Amos Comenius emp ehlt im Sinne einer möglichst widerstandslo-sen Stoffweitergabe, die » Schulspeise « möglichst » süß anzutun « 35 . Diese Metapher suggeriert, dass mit kindgerechten Speisen die Unterrichtsinhalte leichter aufzuneh-men und schmackhafter seien. Betrachtet man nun die Literatur zur Bedeutung der Metapher in der Pädagogik etwas genauer, so scheinen auch hier die Metaphern als Lockspeise: Sie sind dien-lich, um als ein temporäres Medikament die Verdauung zu unterstützen, eingesetzt als Geschmacksverstärker und Appetitanreger, die immer dann ihren Dienst erfül-len, wenn es sich im Unterricht um schwere Kost handelt. Metaphern kommen dort ins Spiel, wo unsere begriffichen Kompetenzen versagen: Im Bereich des Mangels, des Geahnten aber Noch-nicht-Verfügbaren. Das Weltwissen der Schüler wird so an-gebunden an das, über das man noch nichts weiß. Ernährungskundliche Kenntnisse der etwas kritischeren Art besaß hier jedoch Johann Gottfried Herder, der betonte, dass » gründliche Wißenschaft, zumal im Anfange und in der Jugend, […] mit Schweiß, mit Uebung gewürzt werden « 36 müsse und auf die Gefahr überzuckerter Süßspeisen hinwies. Eine derartige Aufbereitung des Lernstoffs bezeichnete er als bloße Lockspeise für den, der » sich an diesen überzuckerten Wißenschaften, oder 33 Von der Lühe 2007, wie Anm. 28, S. 341.34 Alexandra Guski, Metaphern der Pädagogik. Metaphorische Konzepte von Schule, schulischem Lernen und Lehren in pädagogischen Texten von Comenius bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 2007, S. 473.35 Zitiert nach Guski 2007, wie Anm. 34, S. 259.36 Johann Gottfried Herder, Sämtliche Werke, hrsg. v. Bernhard Suphan, 33 Bände, Berlin 1877–1913, hier Bd. XXX, S. 47.