Metapher und Topos in hermeneutischer Perspektive 231 » Redefuss « entfalten keine heuristische Kraft mehr. Nur neue, » lebendige « haben für ihn eine Chance. Aber – so ist zu fragen – wie » lebendig « dürfen sie sein? Ist der » Wirbeltrommel der Erde « , den Nelly Sachs 8 in einem ihrer Gedichte » leise nachgewitternd « aus den » Ohren Sterbender ausziehen « hört, dem » normalen « Leser nicht doch zu ferne? Kann die leise » Wanderstimme des Mondes « , die statt der » Wirbeltrommel « nun in die Ohren der in eine andere Welt Hinübergehenden einsinkt, nachvollzogen wer-den? Man wird das alles nur verstehen mit dem Wissen der antiken musikkosmolo-gischen Idee einer musica mundana, die später auch von Cicero in seinem bewegen-den Schriftstück Somnium Scipionis aufgenommen wird.9 Der Anspruch ist hoch. Eine hilfreiche Zwischenlage nehmen nach Ricoeur » Schlüsselmetaphern « ein, die zwar archaischen Ursprungs, aber doch wirkungsstark im Sinne C. G. Jungs ge-blieben sind: so die Sonne, der Morgen, der Abend, die Nacht und auch die Brücke. Hier gewinnt die Metapher nach Ricoeur sogar den privilegierten Rang mythischer Bildkraft. Sie sind hier – also im Kontext der Vermittlung – vor allem im Blick. Freilich haben wir bisher nur von der Metapher als Sprachbild innerhalb eines Sprachkunstwerks gesprochen. Ihre besondere Aufgabe als Vermittlungsmedium in Bezug auf das Verstehen von (autonomer) Musik ist eine sehr andere. Von dieser Differenz soll nun die Rede sein.III 1. Die Metapher hat ihre Heimat in der Sprache. Sie hat hier die spezi sche Aufgabe einer – wie ich es nennen will – » Sprachikonischen Sublimierung « . Das meint: Ein lyrisches Gedicht bedient sich jener Wortsprache, die auch Grundbestand unserer Alltagssprache ist. Um dieses Gedicht vor einem naiven Alltagsverständnis zu be-wahren, muss ein besonderer Kunstanspruch erkennbar werden. Das meint eine Sublimierung des Aussage- und Verstehensanspruchs. Die wird erreicht nicht nur durch eine formalisierte Metrik und eine gereimte Klangverbindung, auch nicht nur durch eine gewählte Sprachdiktion wie etwa in der liturgisch-gottesdienstlichen Sprache, sondern vor allem durch den Einsatz der Metapher. Am Beispiel von Eichendorffs Mondnacht ist ihre Aufgabe anschaulich darzustel-len. Hier handelt es sich um drei schlichte vierzeilige Strophen in einer ebenso schlichten jambischen und kreuzgereimten Dreifüßigkeit. Semantisch kontrastiert die mittlere Strophe auffallend zu der ersten und dritten. Sie ist mehr beschreiben-der Natur.» Die Luft ging durch die Felder/ die Ähren wogten sacht.Es rauschten leis’ die Wälder / So sternklar war die Nacht.« 8 In: Mein blaues Klavier, Deutsche Musikgedichte aus sieben Jahrhunderten. Hg. von Reinhard Kiefer, Kassel/Basel 1988, S. 198 9 Siehe: Karl Heinrich Ehrenforth: Geschichte der musikalischen Bildung, Mainz 2010, S. 82 f.