232 Karl Heinrich Ehrenforth Diese Beschreibung einer sommernächtlichen Stimmung kommt ohne Metapher aus. Sie könnte als gehobene Alltagssprache etwa in einem etwas anspruchsvolleren Tagebuch ihren Platz nden. Eingelöst wird der Kunstanspruch des Gedichts aber erst durch die metaphorisch-ästhetische Sublimierung in den beiden Außenstro-phen. In der ersten ist es die mythologisch gekleidete Metapher des Himmelskusses, in der dritten dagegen die Imagination des Heimfugs der Seele in die Freiheit des » Nach Haus « . Beide Metaphern sind vom Dichter behutsam konjunktivisch formu-liert, vielleicht, um das Geheimnis dieser transrational-religiösen Aussage nicht zu verletzen. Sie transzendieren aber dennoch das gefühlvolle Erlebnis einer Sommer-nacht, und dies genau im Sinne Goethes und Mahlers, wonach alles » Vergängliche nur ein Gleichnis ist « . So wird der Verstehenshorizont hier nicht nur erweitert, son-dern auch vertieft.2. Die Rolle der Metapher in der Vermittlung von Musik ist jedoch nicht nur sehr anders, sondern auch keineswegs selbstverständlich – denkt man an die Hürden des sogenannten Wort-Ton-Verhältnisses. Hier stößt die Metapher als sprachgebore-nes Medium auf die uralte Konkurrenz zwischen Wort und Ton, Sprache und Mu-sik. Selbst wenn man Musik auch als Sprache im Sinne von An-Sprache und An-Spruch verstehen will, so ist sie je nach Sichtweise bekanntlich entweder weniger oder mehr als die Wortsprache. Dieses Konfiktfeld hat ja dazu geführt, die jeweilige Lufthoheit des Einen oder des Anderen immer wieder in Frage zu stellen. Anstatt die Vorteile beider neidlos anzuerkennen, ging es immer um die Frage, wer wem zu dienen habe. Es ist bemerkenswert, dass diese seit den Kirchenvätern tobende Eifer-suchtsschlacht nie dazu geführt hat, sich schlicht zu trennen. Im Gegenteil: wie bei Ehepartnern mit grundverschiedener Mentalität: man hat nicht voneinander lassen können. Zum Glück. Denn beide haben voneinander pro tiert.3. Dass die Metapher ausgerechnet für die Musik eine Rolle spielen soll, ist nur vor dem historischen Hintergrund zu verstehen, dass der Wortsprache seit E.T.A. Hoff-mann und Robert Schumann eine vorher ungeahnte Bedeutung als Medium des Musikverstehens zugespielt wird. Bach und Händel waren weit davon entfernt. Diese ersten sprachvermittelnden Versuche aber sind – wie angedeutet – heute nur noch historisch interessant. Wenn etwa E.T.A. Hoffmann von der V. Sinfonie von Beethoven als von einem » Geisterreich und einem » Riesenschatten « spricht, der » unsere Brust zersprengt « und den Hörer zum » entzückten Geisterseher « werden lässt, dann ist das nicht mehr unsere Sprache.10 Sie verdankt sich allenfalls dem Ver-such, dem hinreißenden Eindruck der Beethovenschen Musik in einer genieästheti-schen Sprachbildlichkeit auf Augenhöhe zu entsprechen. Und wenn Hermann Kretzschmar das Initialmotiv des zweiten Themas im ersten Satz der gleichen Sinfo-nie einen » verzweifelten und qualvollen Heldentod erleiden « lässt, dann ist dieses 10 In: Allgemeine musikalische Zeitung, Bd. 12, 1810. Siehe auch Carl Dahlhaus: Musik zur Sprache ge-bracht, München/Kassel 1984, S. 196ff.