Metapher und Topos in hermeneutischer Perspektive 233 übersteigerte Bild dem Zeitgeist der wilhelminischen Epoche geschuldet.11 Vor dem Richterstuhl der Metaphorik wären beiden Exempla gescheitert. Bis heute ist dieses Problem einer angemessenen Vermittlungssprache der Musik als Verständigungs-medium ungelöst. Denn weder ist die Flucht in eine begriffich xierte Musikgram-matik sinnvoll, noch die in die zeitgebundene Blumigkeit historischer Sprachbild-sorten. Es geht darum, neue und angemessenere Wege zu suchen.4. Die musikbezogene Metapher nimmt also eine exteritoriale Position ein. Sie ist hier nicht Bestandteil eines sprachlichen Kunstwerks, sondern steht gewissermaßen auf der Brücke zwischen Musik und Rezipient. Ich nenne diese ihre Funktion » Sprachikonische Erdung « . Was heißt » Erdung « ?Wir stehen hier vor einem heiklen Punkt ästhetischer Kooperation, den ich nur andeuten kann. Nur so viel: Es gibt offensichtlich nicht nur einen Hang zur Vergeis-tigung der Musik mit dem Ziel einer absoluten Autonomie, sondern umgekehrt eine noch tiefere Sehnsucht, diese Geistigkeit wieder in das » Leben « zu inkarnieren und damit dem Hörer als Menschen nahe zu sein und ihn nicht zu verlieren. Diese in-karnative Sehnsucht wurde bis ins 18. Jahrhundert hinein mehr oder weniger durch die sozialen Einbindungen gestillt. Mit dem wachsenden Autonomieanspruch der Musik aber musste sie nach neuen Ufern Ausschau halten. Sie boten sich im Versuch an, musikalische Eindrücke und Erfahrungen mit einer besonderen Bildsprache zum Ausdruck zu bringen. Es sollte das Sprachbild, das den vergeistigten Klang er-det.Diese Sehnsucht nach Bodenberührung zeigt sich im 19. Jahrhundert nicht nur in der zunehmenden Literarisierung der Musik bei Schumann, Liszt und Mahler, son-dern auch ganz schlicht im assoziationsreichen Wahrnehmungsverhalten des Nor-malhörers von Musik, das nicht einmal dem Expertenstatus Adornos unbekannt ge-blieben sein dürfte. Mahlers problematische Versuche einer Programmierung seiner Sinfonien gehören dazu. Ihm ging es bekanntlich nie um ästhetische Absolutheit, sondern immer darum, in und mit Musik eine » Welt « zu errichten und zum Klingen zu bringen.Ein Beweis dieser These ist die spiegelförmig zu begreifende Ästhetik von » Bau-haus « und » Blauem Reiter « . Sie sucht das große Vorbild der musikalischen » Geistig-keit « für die Bildende Kunst umzusetzen und wagt damit den Sprung in die » ab-strakte « Malerei – so bei Wassily Kandinskij und seiner Programmschrift » Über das Geistige in der Kunst, besonders in der Malerei « .12 5. Ich versuche nun, das Gesagte zu exempli zieren am ersten Satz der Beethoven-schen » Fünften « . Dieser Satz war ja deshalb eine Provokation, weil sich seine Ener -gie allein aus einem banalen Viertonmotiv speist. Die Metapher eines » Stromes « ist hier angebracht. Dies auch deshalb, weil sie ein Grundphänomen der Musik auf-nimmt: Musik kann wahrlich » strömen « . Sei es als ruhig fießender Bach in der Pas-11 Führer durch den Concertsaal, 1. Abteilung, Leipzig 1887, S. 90 12 München 1911