240 Bernhard Müßgens schlechtern als ein » Ruf nach Freiheit « . Im Januar 1976 studiert Hans van Manen » Metaforen « mit dem Nederlands Dans Theater neu ein. Jetzt, » im Nachhinein « , er-kennt Jochen Schmidt darin eine » Wegmarke neuer Ballettentwicklung « . Van Ma-nen gelinge mit diesem Werk die Überwindung der bis dahin alles beherrschenden Neoklassik eines George Balanchine. Grund und Ursache für diese Einschätzung ist für Schmidt das plötzliche Aufgeben der Spiegelebene im zweiten Teil von » Metafo-ren « . » Ganz offensichtlich « so schreibt er 1987, habe van Manen » solche technischen Mätzchen « nicht mehr nötig, um sich gegenüber Balanchine zu pro lieren.Damit beginnt » ein völlig neues Kapitel in der Geschichte der Chorgeographie « , das » unter anderem durch eine neue De nition des Rollenverständnisses und Part-nerschaftsverhältnisses zwischen Männern und Frauen bestimmt « ist.10 Spiegelsymmetrien und synchrone Figuren nden sich indessen in Hans van Manens Balletten bis in die Gegenwart, ohne dass der Choreograf ihnen sein Ver-ständnis einer Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern geopfert oder sich etwa auf anderen Wegen Balanchines Neoklassik angenähert hätte. Anstelle de-ren ›Überwindung‹ entwickelt van Manen aus der Spiegelsymmetrie nach » Metafo-ren « beständig sich differenzierende Diskurs- und Argumentationsformen zwischen gleichberechtigten Tänzerinnen und Tänzern und, wie ebenfalls zu zeigen sein wird, eine wirkliche Neuheit in der Ballettgeschichte: Tanzmetaphern intrapersona-ler Interaktion; atemberaubende Ballette, die wie auf einer inneren Bühne die Musi-kalität der Kommunikation zwischen Persönlichkeitsanteilen in jedem einzelnen, wohlgemerkt auch im Zuschauer auf eine Weise erfahrbar machen, die man nach dem Verlassen des Theaters nicht wieder vergisst. Mit ihnen entstehen, wenn auch videographisch schwer zu erfassende, für den künstlerischen Bühnentanz an der Wende zum 21. Jahrhundert aber wahrhaft neue, weil die Trennung von Raum, Zeit, Kraft und Artikulation aufhebende Formen einer Persönlichkeitsdynamik, genauer gesagt: Interaktionen zwischen divergierenden Persönlichkeitssystemen im Prozess ihrer sich entwickelnden Integration.Die in van Manens » Kammerballett « an dieser Stelle aus Platzgründen nur ex-emplarisch aufzeigbare Metaphorik der Persönlichkeitssysteme und ihrer Interak-tionen werden verständlicher vor dem Hintergrund der Persönlichkeits-Systeme-Interaktions-Theorie des Osnabrücker Psychologen Julius Kuhl.11 ,12 Kuhls PSI-Theo-rie hilft zugleich, die grundlegende Metapher in van Manens Balletten seit Beginn der 70er Jahre am Beispiel eines ausgewählten Abschnitts aus » Kammerballett « ge-9 Schmidt, Der Zeitgenosse als Klassiker. Über den holländischen Choreografen Hans van Manen, Köln 1987, S. 40 (s. Anm. 5).10 Ebd., S. 45 (s. Anm. 5).11 Vgl. zur allgemeinen Einführung den Beitrag » PSI-Theorie (Kuhl)« in Wikipedia, dort besonders » PSI-light. Theorie von Kuhl verständlich erklärt unter der URL http://www.diffpsycho.uni-osnabrueck.de/vorles/seminar/PSI-light_ Kuhl2005.pdf, 23.09.2011, des Weiteren: Julius Kuhl, Lehr-buch der Persönlichkeitspsychologie. Motivation, Emotion und Selbststeuerung, Göttingen 2010, S. 460 f. Für Hilfen und Hinweise beim Verfassen des folgenden Textabschnitts über die PSI-Theorie bin ich Herrn Julius Kuhl zu großem Dank verpfichtet.12 Mit ihm entwickle ich in einer Arbeitsgruppe seit Jahren eine tanz- und bewegungsbasierte Lern- und Entwicklungsdiagnostik für Kinder im Grundschulalter, die den Versuch unternimmt, genauer zu ver -stehen, wie Kinder denken, fühlen, wahrnehmen und emp nden und was sie brauchen, um ihre indi -viduellen Begabungen in Persönlichkeitsentwicklung umzusetzen.