244 Bernhard Müßgens nen entsprechenden persönlichkeitsrelevanten Funktionen zu. Die Raumdimension der Bewegung repräsentieren nicht zuletzt interpersonale Beziehungsebenen: die Horizontale das Vertrauen und die Bereitschaft zur Kontaktaufnahme, die Vertikale das bewusste Ich und seine Präsentation, die Sagittale das entschlossene Handeln und die Konfrontation. Der Bewegungsantrieb Zeit umfasst langsame und schnelle Tempi sowie allmähliche und plötzliche Übergänge zwischen ihnen in beide Rich-tungen. Getragene Bewegungen ermöglichen einen tendenziell aufmerksameren Wahrnehmungsmodus als schnelle Aktivitäten. Rasche Tempi und Beschleunigun-gen aktivieren und mobilisieren Physis und Psyche und motivieren uns und andere auf breiter Basis. Die Kraft einer Bewegung repräsentiert unsere Absicht und den bewussten Willens als Motiv einer Handlung oder Bewegung. Hoher Krafteinsatz kann aber auch auf Unsicherheit bei der Koordination räumlicher und zeitlicher Aspekte der Bewegung deuten. Die Bewegungsanalysesysteme nach Rudolf von La-ban und Judith Kestenberg 14 gehen davon aus, dass z. B. eine bewusste Reduktion der Kraft bei klarer räumlicher Zielrichtung zur Verbesserung der Konzentration und bei automatisierten und gleichförmigen Bewegungsfolgen zum Flow-Erleben beitragen kann. Der Muskelspannungsfuss ist das Maß unserer momentanen Be-dürftigkeit. Ein beständig gebundener Fluss ist mit der Tendenz zur Selbstkontrolle bei hoher Bedürfnisspannung, ein freier Fluss mit einer selbständigen Regulation unserer Bedürfnisse verbunden. Alle vier Systeme sind durch unterschiedliche und im Falle der beiden konkur-rierenden Systempaare (Intentionsgedächtnis versus intuitive Verhaltenssteuerung, Extensionsgedächtnis versus Objekterkennung) gegensätzliche Affekte dialektisch miteinander verbunden. Affekte nden ihren Ausdruck in Kombinationen aller auf-geführten Dimensionen von Körperbewegungen und umgekehrt lösen Bewegungen Affekte aus. Wenn alle vier Systeme gleichberechtigt interagieren, lernen wir aus schwierigen Lebenssituationen, setzen uns nach enttäuschenden Erfahrungen und Erlebnissen neue, konkrete Ziele, die zu unseren Bedürfnissen als Person und zu unserer Lebensgeschichte passen und die wir im Alltag auch verwirklichen. Wir sind dann in der Lage, zwischen eigenen Zielen und Anforderungen anderer Perso-nen an uns intuitiv zu unterscheiden und unsere grundlegenden Bedürfnisse wahr-zunehmen, zum Ausdruck zu bringen und unter Berücksichtigung unserer sozialen und partnerschaftlichen Beziehungen so selbständig wie möglich zu befriedigen oder zu regulieren.Die Kürzel A+, A-, A(+) und A(-) in der nachfolgenden Gra k bedeuten: Positi-ver Affekt (z. B. Freude), negativer Affekt (z. B. Furcht), gedämpfter positiver Affekt (z. B. Enttäuschung) sowie gedämpfter negativer Affekt (z. B. Erleichterung).14 Vgl. Susanne Bender, Die psychophysische Bedeutung der Bewegung. Ein Handbuch der Laban Bewegungs-analyse und des Kestenberg Movement ProKles, Berlin 2007.