246 Bernhard Müßgens Persönliche Reife ist gekennzeichnet durch breite und variable Verbindungen zwi-schen allen persönlichkeitsrelevanten Systemen und den mit ihnen verbundenen ge-gensätzlichen Affekten. Metaphern helfen bei der Orientierung innerhalb komplexer emotionaler und affektiver Systeme und Prozesse, sich eigener und fremder Emp- ndungen, Gefühle und Motive bewusster zu werden und selbst unbewusste und automatisierte Handlungen besser zu verstehen. Sie können auch helfen, sich mit anderen Personen über Motive, Gefühle, Emp ndungen, Wahrnehmungen und Ab-sichten auszutauschen, Strukturen einer Persönlichkeitsdynamik besser begreifbar und verständlich zu machen, und sind daher von zentraler Bedeutung für die Ver-ständigung und den Interessenausgleich zwischen Personen und widerstreitenden Impulsen innerhalb einer Person, für die Persönlichkeitsentwicklung, für Erzie-hungs- und psychotherapeutische Prozesse und für verbale und nonverbale, auch tänzerische und musikalisch vermittelte Formen von Dialogen und Diskursen. Me-taphern regeln und organisieren wie Affekte oder anstelle von Affekten die Art und Weise, in der wir miteinander diskutieren und argumentieren. Die Sprachforscher George Lakoff und Mark Johnson zeigen in » Leben in Metaphern « (1980/2003) ex-emplarisch am Konzept » Argumentation ist Krieg « die Kehrseite der Medaille: Me-taphern können unser argumentierendes Denken und Handeln korrumpieren. Ar-gumente können » unhaltbar « sein, man kann sich » verteidigen « , den » Gegner an-greifen « und sogar » vernichten « . » Sie sind anderer Meinung? Nun, schießen Sie los!« . Was wäre anders, so fragen die Autoren, in einer Kultur, » in der man den Ar-gumentationsvorgang als Tanz betrachtet, bei dem die Argumentierenden als Künstler auftreten und das Ziel haben, sich harmonisch und ästhetisch ansprechend zu präsentieren. In einer solchen Kultur würden die Menschen die Argumentations-handlung in einem anderen Licht sehen, sie anders erleben, anders ausführen und anders darüber sprechen. Aber wir würden ihre Art des Argumentierens vermutlich überhaupt nicht als Argumentieren betrachten: Aus unserer Sicht würden diese Menschen lediglich etwas anderes machen. Es käme uns sogar merkwürdig vor, ihre Aktivität auch nur als ›Argumentieren‹ zu bezeichnen. Diesen Unterschied der Kulturen könnten wir vielleicht am neutralsten beschreiben, wenn wir sagen, dass unsere Form des Diskurses in Kampfbegriffen strukturiert ist und ihre Diskursform in Begriffen des Tanzes « 15 .Anders bei Hans van Manen. Seine künstlerische Entwicklung und sein choreo-gra sches Lebenswerk seit » Metaforen « kann durchaus verdeutlichen, was anders wäre in einem als Tanz betrachteten partnerschaftlichen und gesellschaftlichen Dis-kurs. Zunächst: Spiegelsymmetrische Bewegungen sind gleichberechtigte Bestand-teile fast aller seiner Ballette. Sie entsprechen – so unsere Hypothese – der Gleichbe-rechtigung divergierender Erkenntnissysteme und antagonistisch wirksamer Affek-te in einer gelingenden Persönlichkeitsdynamik und repräsentieren in all ihrer Viel-falt mögliche Formen von Diskursen zwischen gleichberechtigten Partnern als Tanz betrachtet. Die Struktur der Interaktion zwischen den vier konkurrierenden persön-15 George Lakoff, Mark Johnson, Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, 3. Auf., Heidelberg 2004, S. 13.