Tanz als Metapher in Hans van Manens » Kammerballett « 255 Gra k) das Ensemble synchron vom Extensionsgedächtnis ausgehend eine Bezie-hung zu seiner Objekterkennung herstellte. Alle vier Systeme sind im untersuchten Abschnitt gleichberechtigt vertreten. Ein möglicher Einwand gegen meine Interpre-tation besteht darin, dass die Solistin das hinter ihr be ndliche Ensemble nicht sieht, der Diskurs zwischen ihr und dem Ensemble also nicht wechselseitig statt ndet. Das Ensemble agiert aber, so die Voraussetzung meiner Interpretation, im Sinne ei-nes » Inneren Teams « als Bestandteil einer » Inneren Bühne « der Solistin.Theodor Wiesengrund Adorno, Musiker, Soziologe und Philosoph, schreibt in seiner 1970 posthum erschienenen » Ästhetischen Theorie « im Kapitel » Zum Ver-hältnis von Kunst und Gesellschaft « Kunstwerken » Sprache « und » Lebendigkeit « zu: Lebendig sind sie nach Adorno » als sprechende, auf eine Weise, wie sie den na-türlichen Objekten, und den Subjekten, die sie machten, versagt ist. Sie sprechen vermöge der Kommunikation alles Einzelnen in ihnen. Dadurch treten sie in Kon-trast zur Zerstreutheit des bloß Seienden « . Der » Empirie « , Alltag und Erfahrung, widerspricht Kunst nach Adorno als » Form « . Ist aber die Vermittlung von » Form « und » Inhalt « für Adorno ohne deren Unterscheidung nicht zu fassen, so zugleich » einigermaßen allgemein (formuliert, Anm. d. Verf.) darin zu suchen, dass ästheti-sche Form sedimentierter Inhalt sei. Die dem Anschein nach reinsten Formen, die traditionell musikalischen, datieren bis in alle idiomatischen Details hinein auf In-haltliches wie den Tanz zurück.« 26 » Inhalte « von Tänzen, auf welche die ›reine mu-sikalische Form‹ nach Adorno zurück geht, sucht man allerdings in seiner » Ästheti-schen Theorie « vergebens. Dabei wäre die Frage nach Inhalten von Tänzen für eine zeitgemäße ästhetische Theorie von erheblichem Interesse. Nach Adorno gleichen Kunstwerke ihrem Charakter nach Rätseln und bleiben als Rätsel ungelöst. Enträt-selte Kunst würde sich nach Adorno aufösen und so zugleich wohl auch die auf sie bezogene Theorie verzichtbar machen.Hans van Manens Ballette sprechen nicht in Rätseln, sondern in verkörperten Metaphern. Van Manens » Kammerballett « zeigt exemplarisch, wie Gefühle Kom-munikationen modulieren und auf welche Weise Emotionen interagieren, wenn Per-sonen gleichberechtigt diskutieren. Geht für Adorno Musik als Form » in allen De-tails « auf Tanz zurück, so zeigen van Manens Ballette mögliche Formen von Kom-munikation zwischen gleichberechtigten Partnern als Tanz. Van Manens Musikalität und sein Sinn für Gleichberechtigung bilden den größtmöglichen » Kontrast zur Zer-streutheit des bloß Seienden « (Adorno) und zum » Dekorativen, in dem alles nur noch Beiwerk ist « (van Manen). Van Manens bindet alle am Tanz Beteiligten, auch Zuhörer und Zuschauende in einen Diskurs ein, in dem Musik, Bewegung und Bühne allgemeine und zugleich höchst persönliche Be ndlichkeiten spiegeln. Seine Ballette sind in ihrer Dichte und in ihrem Reichtum an Perspektiven auf » mensch-liche Situationen « (van Manen) nicht allein voller Metaphorik und Magie. Sie the-matisieren die Gleichberechtigung als zentrales Thema und Herausforderung in un-serer Gegenwart. Von ihr sprechen ohne Ausnahme seine mehr als 120 grandiosen Werke.26 Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften, Band 7, Frankfurt am Main, S. 15.