258 Christoph Richter –Musik wirkt auf die Seele (auf das Gemüt) ihrer Hörer. Sie bringt sie in Stimmungen und seelische Bewegungen; sie weckt und verstärkt ihre seeli-schen Regungen in vielfältiger Weise.–Das Hören von Musik weckt handwerkliche Neugier. Sie löst ein Interesse an ihrer Machart aus – an dem verwendeten Material, an seiner Verarbei-tung und an der Geschichte ihrer Verarbeitung.–Musik erzählt uns etwas, was sie nicht selbst ist (wie es auch die Sprache tut). Sie entwirft und erzeugt in uns Bilder von Lebensbezügen, in denen und aus denen sie hergestellt, gebraucht, geschätzt wird und die auf unsere Erfahrungen treffen.–Musik zeigt mit ihren Mitteln, wie sie sich im ständigen Diskurs der Ge-schichte entwickelt, verändert, erneuert, an Altes anknüpft …–Musik löst Vorstellungen in uns aus, entweder solche allgemeiner Art, wie z. B. Trauer, Freude, Glück, Niedergeschlagenheit … oder konkret-inhaltli-che, z. B. Streit, das Erleben von Wasser, Fest …Solche Vorstellungen können aus den anderen, zuvor genannten Bereichen stammen oder persönlich-biographischer Herkunft sein.Die derart unterschiedenen Antworten auf die Frage danach, was Musik mit und aus uns macht, sind nur schwer von einander zu trennen. Sie treten vielmehr in Mi-schungen und gegenseitigen Beziehungen auf: Das unbestimmte, aber große Gefühl von ›Glück‹ kann an persönliche Erfahrungen andocken, kann von einem strahlen-den Raumklang ausgelöst werden, entsteht vielleicht aus einer Musik, die wir schon lange schätzen.Die Neugier auf die Machart einer Musik z. B. kann sich verbinden mit bestimm-ten Traditionen älterer Musik oder mit Lebensfunktionen, die eine Musik einst hat-te. Freude an der Musik kann auch auf geistvoll angelegten Strukturen oder witzi -gem Materialumgang beruhen.Alle diese Reaktionen und Anregungen, mit denen Musik uns begegnet, bedie-nen sich metaphorischer Beschreibungen und Erläuterungen. Wir hören zwar in ei-ner Melodie das Terzintervall. Aber wir nehmen diesen Vorgang vielleicht wahr als sich neigen, als springen, als sich quälen, als Farbwechsel oder anders. Man kann Musik sowohl als technisch-sachliche Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen, als auch als eine Wirklichkeit, die wir in unser Leben einfügen, und mit der wir unser Leben gestal-ten. Diese Wirklichkeit wird uns zumeist mit Hilfe von Metaphern (von Übertra-gungen in uns Vertrautes) lebendig und bewusst.Die Fülle der Metaphern, mit denen wir das benennen und verstehen, was die Musik uns anbietet und aus uns macht, gehört vier Arten an:–den verblassten Metaphern (wenn von hohen Tönen die Rede ist oder » von leuchtenden Augen « , 5 5 Umberto Eco, Die Grenzen der Interpretation, München 1992, S. 192.