264 Christoph Richter unsicher noch einmal ein wenig um, Zeichen des Übergangs vom absichtslo-sen Probieren in gestalteten, gegliederten Gesang – vielleicht eine Erinne-rung an die traurige Dumka der letzten Nacht?Auch die anderen griffen wie im Traum zu den Instrumenten. Jeder suchte – zunächst noch für sich – nach einer leisen Begleitung, bestätigend oder an-treibend. Ihre rhythmischen Einfälle passten nicht so recht zueinander; sie stellten vielmehr die Melodie auf einen schwankenden Grund. Dem Verlauf der Melodie folgend wurden auch sie wacher und artikulierten mit zuneh-menden Spaß, Witz und zunehmender Genauigkeit ihre widersprüchlichen kleinen Formeln, gegeneinander und rechthaberisch. So entstand aus Hitze, Sonne, Trägheit, Erinnerung und Puszta eine Traummusik.Sie wären – in wachem Zustand – nicht die leidenschaftlichen Musiker gewe-sen, als die sie beliebt waren, wenn sie nicht das Begonnene, das gleichsam ohne viel Zutun entstanden war, zu einem Beispiel ihrer hohen Kunst weiter entwickelt hätten – aus Erinnerung, aus der selbstverständlichen Handha-bung der Instrumente, aus ihrer Stimmung –.Zunächst übernahm der erste Geiger die Klarinettenmelodie und gab der Kla-rinette den Weg frei zu phantasievollen Umspielungen. Eine gegensätzliche Antwort fügten die beiden Violinen an, in glitzerndem Oktavenspiel, ein be-kanntes Liedchen, von oben von der Klarinette umspielt und von unten be-gleitend unterstützt. Sodann wendete sich die Klarinette wieder ihrem ersten kleinen Einfall zu – der fallenden Terz mit der angehängten Sekunde. Wie ein Puzzle probierte sie Möglichkeiten der Umstellung, der Umwandlung, der Versetzung, des Stim-mungswechsels. So entstand ein gefühlvolles, frei ausgespieltes Stück Musik, das von der Vertrautheit der kleinen Kapelle erzählte – bis zu einem verebben-den Schluss, bei dem man annehmen konnte, sie würden gleich wieder ein-schlafen.Das Gegenteil war der Fall. Sie saßen nun im Kreis, aufgeweckt durch das Klarinettenmotiv und gespannt darauf, was aus ihm noch werden könnte. In weit ausgreifenden improvisierten Variationen führten sie – angeregt oder gar aufgehetzt von der Klarinette und ausgehend von der kleinen geträumten Figur – ihr schwelgerisches und virtuoses Können vor – mit rasenden Läu-fen, Dreiklangskaskaden, schmerzlich lang gezogenen Tönen, sich gegenseitig nachmachend … und immer wieder zu choralartig-homophonen Schlüssen sich zusammen Kndend.Erschöpft sanken sie schließlich in den Anfang und in den Traum zurück.Eine solche Geschichte zauberte Johannes Brahms aus drei Tönen und aus ungarischem Kolorit 1891, als er eigentlich schon gar nicht mehr komponie-ren wollte.