274 Christian Thorau mene Konzept der markierten Opposition zentriert hatte. 2004 fügte er den tropolo-gischen Ansatz in einen erweiterten Entwurf ein, als dessen zentraler Begriff die » musikalische Geste « fungiert. Hattens Semantik-Konzept bildet die Voraussetzung für die Beantwortung einer Grundfrage der Übertragungsproblematik: Wenn meta-phernähnliche Strukturen in Musik gefunden werden, wie ist dann der Bereich der konventionellen, buchstäblichen Bedeutung zu fassen, der für verbale Metaphern wesentlich ist? Hattens Antwort bestimmt zugleich den Charakter bzw. die Archi -tektur seines Theorieentwurfes: Metaphern in der Musik sind möglich, wenn Musik relativ stabile Korrelationen von Ausdrucksbedeutungen ausprägt (» expressive meanings « ), die mit buchstäblichen Bedeutungen in der Sprache vergleichbar sind. Ausdrucksbedeutungen wie ›traurig‹ oder ›fröhlich‹ in Bezug auf Musik oder eine Melodie haben nach Hatten keine metaphorische Qualität mehr, sondern sind Zu-ordnungen, die im Zuge einer Stilkompetenz semantisch verwendet und verstan-den werden. Diese sind in der Kohärenz eines musikalischen Stils als » cultural units « kodiert (» encoded « ) und können dann wiederum nach Art einer Metapher zusammengefügt werden. Auf diese Weise entsteht eine gurative Bedeutung in und durch Musik, die mit dem alten rhetorischen Terminus der Trope bzw. des Tro-pierens (» troping « ) beschrieben werden kann.So lassen sich in Beethovens Spätwerk Kombinationen von Ausdrucks-bedeutungen beobachten, die zu einer thematischen Einheit von acht Takten ver-knüpft werden, z. B. im Finale-Thema der Klaviersonate op. 101. Dort bilden die ersten vier Takte eine Trope aus heroischem und gelehrtem Stil und werden ab Takt 5 mit einem stark kontrastierenden, pastoralen, Musette-ähnlichen Motiv verbun-den. Alle » expressive meanings « lassen sich typischen satztechnischen Merkmalen zuordnen (z. B. die Fanfare dem Heroischen und die Dissonanzkette dem Gelehr-ten) und semantisch als musikalische Topoi (» topics « ) ansprechen, wie sie Leonard Ratner 1980 für die englisch-amerikanische Diskussion klassi ziert hatte.6 Durch die Kopplung vieler Ausdrucksbedeutungen an musikalische Charaktere des 18. Jahrhunderts ist der tropologische Ansatz also direkt mit dem topologischen ver-knüpft.Hattens Ansatz zur Metapher in der Musik orientiert sich im Wesentlichen an Max Black, der bereits in seinem klassischen Theorieansatz von 1954 und dann noch stärker 1977 das kreative Moment von Metaphern betont hatte.7 Hatten greift Blacks Vorstellung auf, dass Metaphern durch die Interaktion zwischen bereits etablierten Bedeutungen neue Einsichten hervorbringen (» offers novel insight by creating an interaction between two already established meanings « « ).8 Er überträgt diese Posi-tion insofern buchstäblich, als er diese Einsichten als neue Bedeutungen begreift, die durch Interpretation verbalisierbar sind.6 Vgl. Leo Ratner, Classical Music. Expression, Form, and Style, New York 1980.7 Vgl. Max Black, Die Metapher [1954], in: Haverkamp 1996, S. 55–79; ders., Mehr über die Metapher [1977], in: Haverkamp 1996, S. 379–413.8 Hatten 1995, S. 379.