Metapherntheorie als musikologisches Refexionsmodell 277 Kognitionstheoretischer Ansatz (Zbikowski)Lawrence Zbikowski legte mit Conceptualizing Music 11 einen Theorieentwurf vor, dessen metaphernrelevante Anteile sich ganz dem kognitivistischen Ansatz von George Lakoff und Mark Johnson verdanken. Metapherntheorie wird in ein Theo-riegebäude einfügt, mit dem nicht weniger als ein Neuentwurf von Musiktheorie über die Kognitionswissenschaft intendiert wird. Zu Hattens Ansatz verhält sich Zbikowskis fast komplementär. Während Hatten das Problem der Übertragung der Metapher auf Musik auf jenen Bereich zu begrenzen versucht, in dem man begrün-det von metaphernähnlichen Strukturen in der Musik sprechen kann und ihm dies gelingt, weil er gleichzeitig einen starken Semantikbegriff hat, erfasst Zbikowski mit dem Paradigmenwechsel zum Kognitionsbegriff alle Bereiche musikalischer Wahr-nehmung und Kategorisierung. Metapherntheorie geht damit völlig in einer neuen Begriffichkeit auf, die keine Beschreibung von allein sprachlichen Phänomenen, sondern eine Analyse der ko-gnitiven Operationen unter der sprachlich-verbalen Oberfäche anstrebt. Metaphori-sches Denken entsteht nicht nur im Falle einer rhetorischen Figur, sondern struktu-riert das begriffiche Denken insgesamt. Metaphern wirken konzeptuell, sie steuern als » conceptual metaphors « die gesamte menschliche Kognition (z. B. eine musika-lisch grundlegende konzeptuelle Metapher wie » Tonhöhenverhältnisse sind Verhält-nisse im vertikalen Raum « ).12 Übertragung wird im Begriff des » cross-domain map-ping « gefasst, das sich als ein Abbilden von Eigenschaften von einem Bereich zu ei -nem anderen übersetzen lässt, wobei sich Quell- und Zielbereich (» source and tar-get « ) klar unterscheiden lassen, die Übertragung also immer in eine Richtung (uni-direktional) verläuft. Zbikowski folgt aber zugleich Fauconniers und Turners Erwei-terung des kognitiven Ansatzes zu einer Theorie des » conceptual blending « , der ein Austausch in beide Richtungen zulässt. Es entsteht ein visualisiertes Modell der ko-gnitiven Operationen, das Conceptual Integration Network (CIN), in dem der Quell- und Zielbereich durch zwei Input-Bereiche ersetzt wird, die durch einen » ge-neric space « gesteuert und koordiniert werden und in einen » blended space « zu-sammenfießen, der einen neuen Bereich der Begriffsmischung darstellt. Auf diese Weise lässt sich jedes Phänomen musikalisch-metaphorischen Denkens in einem CIN modellieren, so z. B. die Raumvorstellung via Tonhöhen in der musikalisch-r-hetorischen Textdarstellung in der Renaissance-Musik. Eine Passage aus Palestrinas Missa Pape Marcelli, die im Credo zum Text » descendit de caelis « abwärts schreiten-de Sogetti vorführt, liest sich im CIN analysiert dann wie folgt:11 Lawrence Zbikowski, Conceptualizing Music. Cognitive Structure, Theory, and Analysis, Oxford 2002.12 Im Englischen: » PITCH RELATIONSSHIPS ARE RELATIONSSHIPS IN VERTICAL SPACE « , Zbikowski 2002, S. 60.