Metapherntheorie als musikologisches Refexionsmodell 283 und Musik, aber auch Musik und verbale Titel) bereits durch die differierenden Zei-chenformen ein Moment des Konfiktes erzeugen, unabhängig davon, wie stark die semantischen Kongruenzen oder Divergenzen sind. Diesen Aspekt des Konfiktes im semiotischen Modus untersuche ich als » cross-modale « Metaphorik und verste-he Modus nicht im Sinne von Sinnes- bzw. Wahrnehmungsmodalität oder Medi-um,22 sondern semiotisch im Sinne einer Bezugnahmeweise.In Blacks Einsicht, dass eine Metapher auch in der » source « Veränderungen be-wirken kann, ist auch der Aspekt der Bidirektionalität bereits angelegt. Zwar legen die linguistisch und kognitionstheoretisch orientierten Positionen auf die Unidirek-tionalität der Metapher größten Wert und betonen die Eindeutigkeit der Unterschei-dung von Ziel- und Quellbereich.23 Doch gerade die Abweichung vom unidirektio-nalen Modell, die in der Relativierung der Asymmetrie von metaphorischen Zei-chenkonstellationen besteht, ist typisch für die emphatischen Metaphern in der Kunst. Der sinnliche Gegenstand ist nicht nur Ziel einer metaphorischen Beschrei-bung, sondern kann selbst als Quellbereich fungieren, aus dem interpretatorisch ge-schöpft werden kann.24 Diese Form von interpretatorischer Bidirektionalität (die Spit-zer durch Ricoeur als Gegenmodell zu Lakoff/Johnson erhält) leite ich sowohl aus dem Interaktionsgedanken bei Black als auch aus der Exempli kationsfunktion bei Goodman ab.25 Musik ist ein aktives, exempli zierendes Zeichengebilde, das auf die Bereiche zurückwirkt, die projiziert werden, sei es der Titel eines Klavierstücks, der Gedichttext einer Liedkomposition oder das Programm einer sinfonischen Dich-tung. Dies gilt umso mehr für ein ästhetisches Zeichengebilde, wenn man es im Ganzen als offene, verkörperte Metapher auffasst,26 deren » rechte Seite « unbesetzt ist (siehe die Abbildung oben) und deren neue sinnliche Vorstellungen bzw. Exposi-tionen unser Selbst- und Weltverstehen verändern. Simone Mahrenholz hat diesen Aspekt im Anschluss an Goodman als » neues Label « beschrieben, das wir – visuell, klanglich oder beschreibend – aus einem Konzert, einem Ausstellungs- oder Kino-besuch oder dem Lesen eines Romans mitnehmen, auf unsere Eindrücke projizie-ren und damit die Weisen verändern, wie wir unsere Umgebung sehen und hören.27 22 Im Bereich der kognitiven Metapherntheorie wird mit dem Begriff » multimodal « gearbeitet, vgl. Charles Forceville, Non-verbal and Multimodal Metaphor in a Cognitivist Framework: Agendas for Research, in: Applications of Cognitive Linguistics: Foundation and Fields of Application, hrsg. v. Gitte Kristiansen, Michel Achard, René Dirven und Francisco Ruiz de Mendoza, Berlin/New York 2006, S. 379–402.23 Vgl. hierzu Charles Forceville, The Identi cation of Target and Source in Pictorial Metaphors, in: Journal of Pragmatics 34 (2002), S. 1–14.24 Interpretatorische Bidirektionalität ist aber nicht zu verwechseln mit einer Reziprozität oder Reversibi-lität von Metaphern, also dem Vertauschen von Primär- und Sekundärgegenstand (» Der Wolf ist ein Mensch « ). Die reversible Metapher wird syntaktisch aber erst möglich, wenn die Asymmetrie der bei-den Seiten fast oder ganz aufgehoben ist, wie es etwa in Kon gurationen der Instrumentalmusik der Fall ist.25 Die bidirektionale Sichtweise kam in der Metaphern-Refexion immer wieder auf, vgl. auch Carl R. Hausman, Metaphor and Art. Interactionism and Reference in the Verbal and Nonverbal Arts , Cambridge 1989, der diesen Aspekt aus kunstwissenschaftlicher Sicht zum » interactionism « ausbaute.26 Vgl. Koppe 1995.27 Vgl. Simone Mahrenholz, Musik und Erkenntnis. Eine Studie im Ausgang von Nelson Goodmans Symbol-theorie, Stuttgart u. Weimar 1998, S. 301–323.