Musikalische Analyse und Wahrnehmung 297 Die traditionelle Funktions- oder Stufentheorie wäre in dieser Gra k das explizite Modell. Es ist bewusst erschaffen, sein metaphorischer Anteil besteht u. a. in dem Konzept STUFE IST FUNKTION und aus (mittlerweile toten) Lexemmetaphern wie » Die Dominante beherrscht den tonalen Raum; die Nebenstufe schreitet zur Haupt-stufe fort; der Trugschluss erscheint überraschend « sowie unendlich viele Beispiele mehr. Das implizite Metaphernmodell aber steht für jene Prozesse, die sich, parallel zur Arbeit mit dem expliziten Modell, einer bewussten Kontrolle entziehen, und » das Denken unterschwellig, aber nicht wenige stark determinieren.« 7 Hier sind die Mentalen Modelle anzusiedeln. Nach dem Kognitionspsychologen Johnson-Laird steht dieser Begriff für die Art und Weise, wie der Mensch sich ein Bild von seiner wahrgenommen Wirklichkeit macht.8 Sein Hirn schafft Abbilder der Wirklichkeit, wie sie sich in verschieden menschlichen Kontexten ereignen. Wenn der Mensch also Probleme lösen muss, Erinnerungen abrufen will oder in seinen vielfältigen Formen kommuniziert, dann kommt es zur Anwendung von Abbildern. Diese auf Ef zienz ausgelegte Repräsentation von Wissen beruht in der Speicherung von Er-fahrungen in mentalen Modellen. Die hier eingelagerten Erfahrungen stammen aus der Vielfalt menschlicher Kontexte. Wenn beispielsweise eine neue, spezi sche Si-tuation eintritt, konstruiert das Hirn ein mögliches Szenario, mit dem ein adäquates Handeln eingeleitet wird. Dieses Szenario wird schließlich als mentales Modell zur weiteren Verfügbarkeit abgespeichert. Auf diese Weise lässt sich auch die assoziati-ve » Begleitmusik « erklären, die sich halb- bis unbewusst während einer Analyse und somit bei der Arbeit mit einem Modell einstellt. Sie ist das Resultat aus emotio-nalen Gestimmtheiten, den Emp ndungen und Vorprägungen des Analysierenden und den Inhalten aus mentalen Modellen.Was in einer Partitur zu sehen ist, kann anhand einer Theorie analysiert werden. An Klavierstücken von Chopin und Beethoven, um nur zwei Beispiele zu nennen, kann man gar die Anwendung genuin verschiedener Theorien praktizieren. Die eine untersucht die Funktionsharmonik, die andere den Ursatz; eine dritte Methode widmet sich womöglich dem Melodiestufengang. In allen Fällen unterliegt der Ana-lysierende jedoch dem Automatismus der Analogiebildung, um altes Wissen mit neu-en Erfahrungen zu korrelieren.7 Ebd.8 Vgl. Philip N. Johnson-Laird, Mental Models: towards a Cognitive Science of Language, Inference, and Con-sciousness, Cambridge 1983.