298 Gerhard Schmitt Dieses fundamentale Prinzip der Verbindung zweier Konzeptbereiche, das cross-do-main-mapping (CDM), ist die Grundlage zur Schaffung von » Theorie- bzw. begriffs-konstitutiven Metaphernmodellen « .9 In der Musiktheorie gibt es vereinzelte Versu-che, kognitive Metaphernmodelle methodisch zu integrieren. Das CDM des Kon-zepts der STIMMFÜHRUNG beispielsweise auf das Konzept TONALER RAUM, in dem der traditionelle Kontrapunkt seine Wirkung entfaltet, ist ein solcher Ver-such;10 die Analyse in der Darstellungsweise integrierter Netzwerke gehört ebenfalls dazu.11 Welches sind also die Möglichkeiten und Grenzen, die eine systematische Berücksichtigung sowohl der Wahrnehmungsinhalte als auch Erkenntnisse aus der kognitiven Metaphernforschung bieten?In dieser Frage kann man sich uneingeschränkt Clemens Kühn anschließen, der die Analyse als ein » Wechselspiel « auffasst, zwischen gegebenen Strukturen und dem, was den Analysierenden in seinem ganzen Wesen ausmacht, Gestimmtheit, Befähigung, Vorlieben etc. Kühns Quintessenz: » Musiktheorie als genuine Disziplin ja, aber mit dem Mut zur notwendigen Öffnung und der gleichzeitigen Ab-grenzung « .12 Ein manchmal vielleicht schwieriges, nichtsdestotrotz aber ein ambi-tioniertes Unterfangen, vor allem bei der Schaffung verlässlicher methodischer Rah-menbedingung für die Berücksichtigung von Emotionen. Die musikalische Analyse hat sich jedoch stets schwer getan mit Emotionen, also der Wirkungsdimension ih-res Analyseobjekts. Zuweilen hin- und hergerissen zwischen ihrem Anspruch, als ernste Wissenschaft zu erklären und dem Wunsch, individuelle Phänomene zu be-schreiben, ndet die Musiktheorie zu keiner rechten Antwort.13 Alles Erleben von Musik, sei es dur-molltonale oder komplexe Klangkunst, ist aber unweigerlich mit Emotionen verbunden. Die zu beschreibenden Inhalte sind Wahrnehmungsproduk-te aus mentalen Modellen und ihren kognitiven Prozessen. Sobald man Aussagen 9 Drewer 2003, S. 386. Die Autorin weist mit dem Verfahren der kognitiv-linguistischen Metaphernana-lyse nach, dass wissenschaftliche Theorien und Modellen aus » analogisch fachlichem Denken « resul -tieren. Die jeweiligen Fachsprachen generieren entsprechende Lexemmetaphern. Die empirische Grundlage dafür bildet ein Datenbestand von astrophysikalischen Fachtexten zum Thema Schwarzes Loch. Die Analyse von Texten über einen Zeitraum von dreißig Jahren, der Erstnennung und dem end-gültigen Einzug in die Fachsprache, offenbart eine Vielzahl verschiedener Konzepte, unter denen das Schwarze Loch Gegenstand wissenschaftlichen Diskurses wird, u. a.: SCHWARZE LÖCHER SIND BE-HÄLTER, was konkret ein Loch in einem Behälter, eines der fundamentalsten menschlichen Konzepte, meint, passend sind hier spezi sche Behälter wie » Trichter « oder » Höllenschlund « (S. 219); SCHWAR-ZE LÖCHER SIND FALLEN, » in die man unweigerlich hineingezogen « wird (S. 223); ferner zu beob-achten sind Spezi zierungen wie GEFÄNGNIS (» Raumgefängnis für Lichtstrahlen « ) oder ABFLUSS, in den man hineingezogen wird; FARBE ndet sich ebenfalls konzeptualisiert wie der Aspekt GEHEIM-NIS (» Wenn Materie und Raum entarteten, wird das Unerklärliche zum Gesetz.« , S. 262). Sehr viel mehr Konzepte noch sind evident, die überdies ein Netz von Metaphern bilden, z. B. die Verknüpfung mit NAHRUNG, wegen der Gefräßigkeit des Lochs und seine anthropomorphen Existenz als LEBEWESEN (S. 334). Diese umfangreiche Untersuchung kommt zu dem Hauptergebnis, dass sowohl wissenschaft-liche wie nicht wissenschaftliche Kognitionen der Menschen auf den gleichen Metaphernmodellen be-ruhen. 10 Michael Spitzer, Metaphor and Musical Thought, Chicago 2004, S. 19.11 Vgl. Lawrence M. Zbikowski, Conceptualizing Music: Cognitive Structure, Theory, and Analysis, Oxford und New York 2002. Die hier dargestellten mental spaces beruhen auf den Arbeiten eines Linguisten und eines Rhetorikers (Mark Turner und Gilles Fauconnier) und sind mit der Theorie der mental mo-dels nach Johnson-Laird nicht direkt vergleichbar.12 Clemens Kühn, Musiktheorie ist Musiktheorie ist Musiktheorie, in: Utz 2010, S. 17–28 (hier S. 19).13 Cook (in Utz 2010), S. 265.