Musikalische Analyse und Wahrnehmung 301 Angesichts so offensichtlicher sprachlich-musikalischer Formen ‒ die absteigende Linie zu » nach dem Leben und Leiden « im Kontrast zu der Achtelgruppe des Wor-tes » Freude « ‒ fällt es fast schwer, keine weiteren zu erwarten. Ähnlich verhält es sich mit einer Zwölftonreihe; habe ich erst einmal eine Reihe identi ziert, erwarte ich mehr, und bei Schönberg in anderen Zusammenhängen ferner das, was er als die sich entwickelnde Variation bezeichnet. Die Wahrnehmung steht gewisserma-ßen auf entsprechende Weitung.Wie aber analysiert man eine Klanginstallation? Wie behandelt man die Effekte, die von einem interaktiven Klangkunstwerk ausgehen, das seine partizipierende Umgebung in sein Wirken integriert? Hat dies nun nichts mehr mit Musiktheorie zu tun? Müssen wir dieses Klangkunstwerk den Kunsttheorien überlassen? Ich meine, nein. Die Musiktheorie muss allerdings geeignete Verfahren entwickeln, auch in Be-nennung der Sonderstellung. Diese besteht im Verlassen des herkömmlichen Sym-bolbereichs, also der denotativen Zweistelligkeit herkömmlicher notationaler Syste-me, hin zu einer selbstreferentiellen Symbolisierung. Im Prinzip nichts neues, denkt man beispielsweise an die Oper oder all die anderen szenischen Gattungen. Bei et-was anders gezoomter Betrachtungsweise kann man aber auch von neu geschaffe-nen Welten sprechen, jenseits der Körper und Handlungen der Schauspieler, eben-falls jenseits der dem Stück zugrunde liegenden Handlung.21 Die Relevanz des Übertritts in ein Gefecht von Symbolisierungen bereitet Ursu-la Brandstätter mit ihren Überlegungen zu einem » kunstspartenübergreifenden « äs-thetischen Verstehen auf.22 . Kerngedanke ist hier die Überlegung, dass sich die Symbolsysteme vermischen, mit der Folge, dass sich die Wahrnehmungsperspek-tiven verändern. Insofern handelt es sich bei der folgenden Darstellung ebenfalls um die Vermi-schung verschiedener Symbolsysteme, die Auswirkung hat auf die weitere Analyse.21 Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, Frankfurt 2004. Die Autorin verweist auf die spezi -sche » Materialität « einer Aufführung, wenn man den Fokus weg vom Schauspieler als traditionellem Bedeutungsträger und stattdessen hin auf seinen Körper im Raum richtet (S. 50). 22 Vgl. Ursula Brandstätter, Bildende Kunst und Musik im Dialog. Ästhetische, zeichentheoretische und wahr-nehmungspsychologische Überlegungen zu einem kunstspartenübergreifenden Konzept, Augsburg 2004.