310 Jürgen Oberschmidt längst in die gewählte Pyramiden-Metaphorik eingewohnt haben: » Am Bau jener Pyramiden beteiligt zu sein, das verstand ich als eine zum Vollwissenschaftler adelnde Ehre, in die ich mehr Zeit investierte als je danach in eine andere Gattung akademischer Prosa.« 4 Großprojekte, wie der Pyramidenbau, überdauern Genera-tionen, jedoch werden auch Konnotationen über den Abschluss dieser fernliegen-den, vielversprechenden Hochkultur wach, die nachdenklich stimmen sollten. Jener Kultur, die mit ihren monumentalen, der Vergänglichkeit entzogenen » Häusern der Ewigkeit « auf die Zukunft ausgerichtet war, ihren Erbauern göttlichen Status ver-sprach und die dennoch starb: Gestorben und abgelegt ist in den begriffsgeschichtlichen Lexika die Zukunft jener Gegenwart der sechziger, siebziger und achtziger Jahre, als unsere akade-mischen Mentoren (und wir Lehrlinge) die in ihren Konturen vage, aber umso gewissere Hoffnung hegten, daß die geisteswissenschaftlichen Fächer sich ein bleibendes und wahres wissenschaftliches Fundament schaffen könnten, wenn es ihnen gelänge, den Sinn und die Welten der Vergangenheit, also nichts an-deres als ihren ›Geist‹ geordnet in zentralen Begriffen historisch zu dokumen-tieren und damit dem systematischen Denken als ein Medium des Dialogs zu erschließen.5 Zeitlich und wissenschaftshistorisch stehen die angeführten begriffsgeschichtlichen Vermessungsarbeiten in unmittelbarer Nähe zum Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, auch in dieser Begriffsgeschichte geht es darum, die Entfaltung der Be-griffe in ihren historischen und wechselnden Kontexten zu betrachten und zu ver-folgen, wie sich anhand der Begriffe Denken und Wissen entfaltet. Auch dieses mo-numentale Werk ist » von dem Gedanken getragen […], daß bei allem refexiven Umgang mit Musik, beim Nachdenken, Sprechen und Schreiben, Lernen und Leh-ren, die musikalische Begriffssprache das wichtigste Werkzeug ist.« 6 Ziel ist es, » der Willkür und dem Dogmatismus, der Verwirrung und der unre-fektierten Prä xierung des Denkens beim Gebrauch musikalischer Wörter […] durch die Aufdeckung ihrer Herkunft und Bedeutungsgeschichte entgegen[zu]wir-ken.« 7 Denn in der begriffichen Bezeichnung bildet sich bereits der Verstehenspro-zess ab, wird ästhetisches in begriffich erkennendes Verstehen überführt:8 » Im Be-zeichnungsprozeß spielt sich ein Begreifensprozeß ab, dessen Entschlüsselung die musikalische Terminologie zu einem Verstehensinstrument für Sachen und Sachver-halte in ihrem geschichtlichen Sein und Gelten macht.« 9 Es geht hier nicht darum, den richtigen Gebrauch von Termini oder Begriffen zu lehren und sie dabei über De nitionen unhistorisch in eine Eindeutigkeit zu über-4 Ebd., S. 8.5 Ebd., S. 8.6 Hans Heinrich Eggebrecht, Musik verstehen, München 1995, S. 7.7 Hans Heinrich Eggebrecht, Hrsg., Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, Stuttgart 1972, Vor-wort S. 1.8 Eggebrecht 1995, wie Anm. 6, S. 117ff.9 Eggebrecht 1972, wie Anm. 7, S. 1.