Aufstieg und Fall des begriffsgeschichtlichen Paradigmas 311 führen, die sie nicht haben können. Musikalische Analyse wird vielmehr als ein kontextbezogener Prozess angesehen, dessen Ziel nicht im Aufdecken eindeutiger, objektiv gültiger Strukturen, sondern in der Rekonstruktion von kontextabhängigen und damit mehrdeutigen Bedeutungsmustern besteht. Gerade die Sprache der Be-griffe ist ein lebendiges Organ, deren » geschichtliche Durchdringung und wissen-schaftlichen Präzision « 10 eine bis heute unabschließbare Lebensaufgabe darstellt. Die Publikationsform als Loseblattsammlung erweist sich hier als Programm für diesen fießenden Prozess, der sich nicht in starre Buchdeckel zwängen lässt. Lei-tend ist hier auch die These von Carl Dahlhaus, eine Natur der Musik, die selbst systembildend und damit Gegenstand einer Systematik sei, gäbe es nicht. Musik sei hingegen » kategoriale Formung des akustischen Substrats als geschichtliches Phä-nomen.« 11 Die Grundannahme ist, dass die Geschichte eines Ausdrucks seine Be-deutung bestimme.12 Letztlich sprengen die begriffsgeschichtlichen Vorhaben jedoch auf diese Weise ein System, das sie in objektivistischer Manier zunächst schufen: Auf der Suche nach einem systematischen Ertrag und – hier Blumenbergs Erforschung der Begriffe folgend – » Ideal einer endgültigen Terminologie « kann » Begriffsgeschichte nur einen kritisch-destruktiven Wert haben, eine Rolle, die im Erreichen des Ziels ausge-spielt wäre.« 13 Begriffe werden also nicht länger als eine Repräsentation von Sachverhalten an-gesehen, sondern sind auch von der Partizipation von Personen an diesen geprägt. Diese Einsicht in den konstruktiven und performativen Gebrauch der Begriffe ist nicht zuletzt der Arbeit am Handwörterbuch zu verdanken. Denn erst, wenn man die begriffichen Bestimmungen rekonstruiert und sie verlässlich unterfüttert wer-den, wird erfahrbar, dass musikalische Terminologie nicht im Sinne objektiv etiket -tierender und normierender Begriffe funktioniert, sondern es entstehen fießende Konturen ohne feste Grenzen. Die Begriffe erscheinen dann als kulturelle und sozia-le Konstruktion und abhängig von Zeit und Raum.Wechselnde Perspektiven in etablierten Konzepten musikalischer Analyse Durch das Eintauchen in die verschiedenen Verwendungszusammenhänge sind die (musikalischen) Begriffe dynamisch, die ihnen zugrunde liegenden Konzepte der musikalischen Analyse hybrid geworden. Terminologie speist sich aus interaktionel-len Prozessen mit den Gegenständen, Begriffe transportieren nicht mehr als einen historisch gewachsenen Blickwinkel, der an die Musik herangetragen wird und be-10 Eggebrecht 1995, wie Anm. 6, S. 7.11 Carl Dahlhaus, Musiktheorie, in: Einführung in die systematische Musikwissenschaft, hrsg. von Carl Dahl-haus, Köln 1971, S. 93–132, hier S. 104. 12 Lutz Dannenberg, Sinn und Unsinn einer Metapherngeschichte, in: Begriffsgeschichte – Diskursgeschich-te – Metapherngeschichte, hrsg, von Hans Erich Bödeker, Göttingen 2002, S.259–421, hier besonders S. 320ff.13 Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt a. M. 21999, S. 8.