320 Jürgen Oberschmidt rem Wesen nach aus den Werken selbst abgeleitet glaubten, die aber letztlich doch – erinnert sei hier nochmals an die Geleit gebende Funktion der Hegelschen Dialektik für die Sonatenform – Spuren eines von außen an die Musik herangetragenen Kon-zepts tragen.Der Kreis der musikalischen Titelmetaphern, die sich in den terminologisch-begriffichen Bestand abgelagert haben, ist auffallend klein.50 Zu diesen vorstel-lungsleitenden Kategorien und Prinzipien gehören etwa die architektonischen Me-taphern von Gebäude und Fundament, die biologische Organismusmetaphorik, energetische Metaphern, Strukturmetaphern von Kette und Gewebe, der Mechanik und die Metapher von Musik als Sprache. All diese genannten metaphorischen Konzeptionalisierungen erfüllen die von Blumenberg geforderte » ikonische Kon-stanz « 51 : Beharrlich haben sich diese unwillkürlichen Sprachbilder in den Bestand eingenistet und sind dabei keinesfalls beliebig. Sie heben bestimmte Eigenschaften der Musik hervor, während sie andere verdecken und sie sagen etwas über das Sys-temkonzept aus, dem sich die Urheber der Begriffe verpfichtet fühlen. Bemerkens-wert ist etwa, wie Ernst Kurth in immer neuen Sprachwellen das musikalische Ge-schehen als ein Kräftespiel beschreibt und die Vorstellung des » Energetischen « all seine Äußerungen zur Musik bis in ihre kleinsten Elemente durchdringt. Eigen-schaften werden hier zum Vorschein gebracht, die etwa in einer Betrachtung der musikalischen Form als architektonisches Gebilde erst gar nicht erfasst werden. In diesem Sinne stellt Günter Altmann seine Formenlehre einzig in ein metaphorisches Konzept Musik ist Architektur und beginnt mit den notwendigen Abgrenzungsver-suchen gegenüber alternativer Systeme: » In einer Formenlehre der Musik steht not-wendigerweise die Architektonik des Kunstwerks im Mittelpunkt der Betrachtung, und die lebendigen Gesetze musikalischer Formen sind auf klare einfache ›Formeln‹ und ›Formulierungen‹ zurückzuführen. Die der Musik innewohnenden Kräfte, der Emp ndungsreichtum und die sich in ihr äußernden Anschauungen und Ideen, die Anlaß und Beweggrund für alle künstlerische Formung sind, müssen daher im Rah-men dieser Arbeit größtenteils unberücksichtigt bleiben.« 52 Musikalische Form, » als Resultat all dessen, was ein Musikwerk ausmacht « ,53 wird inzwischen nicht mehr in dieser einseitigen Hinsicht verhandelt; dies ge-schieht vielmehr ausdrücklich mit Blick auf die sich wandelnden Analogien und Metaphern: » Was musikalische Form ausmacht, wurde durch die Geschichte hin-durch mit wechselndem Vokabular – dem Spiegel wechselnder musikalischer Auf-fassung – beschrieben. Stets wurden plastische Analogien oder handgreifiche Meta-phern benutzt. Die Beantwortung der Frage, was Musik im Innersten zusammen-hält und wesenhaft auszeichnet, verlangt offenbar nach besonderen Bildern: indem begriffose Musik mit Begriffen gefaßt wird, die vertrauten menschlichen Erfah-rungsbereichen entstammen. Form beschrieb man 1. analog zur Rhetorik, zur wort-50 Dies kommt letztlich dem nach, was Ralf Konersmann als Initiator des Wörterbuchs der philosophi -schen Metaphern bereits konstatiert hat. Siehe hierzu Konersmann 2007, wie Anm. 27, S. 17.51 Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt a. M. 1996, S. 165.52 Günter Altmann, Musikalische Formenlehre. Mit Beispielen und Analysen, München u. a. 1984, S. 9.53 Clemens Kühn, Art. » Form « , in: MGG2, Sachteil Band 3, 1995 Sp. 607–643, hier Sp. 607.