Aufstieg und Fall des begriffsgeschichtlichen Paradigmas 321 gebundenen Musik, zur Sprachlehre, oder suchte sie 2. metaphorisch als Organis-mus, Architektur, Logik oder entfalteten Gedanken zu begreifen.« 54 Dieses Wörterbuch der musikalischen Titelmetaphern steht allerdings noch aus. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind jedoch durch das Handbuch der musikali-schen Terminologie bereits geschaffen: Denn will man zeigen, wie Metaphern an die » Substruktur des Denkens « 55 heranführen, gilt es zunächst, sich der Geschichte be-grifficher Unterscheidungen zu vergewissern und zu verfolgen, wie diese verän-dert, präzisiert oder aufgegeben werden können oder müssen.Die Wegmetaphorik – eine » absolute Metapher « Einem Brauch folgend, Konzeptionen der musikalischen Analyse an den Werken Beethovens zu exempli zieren,56 soll hier nun exemplarisch gezeigt werden, wie eine solche Titelmetapher als leitende Vorstellung in die musikalische Analyse ein-gehen kann. Das metaphorische Konzept der Tonwanderung führt Peter Gülke durch seine Untersuchung der 5. Sinfonie. Angeregt durch das seit Adolf Bernhard Marx transportierte Diktum Per aspera ad astra und des hier » schlagwortartig bezeichneten Weges « 57 , gestaltet Gülke eine Analyse, die ihr zugrunde liegendes Konzept » vor al-lem in der Identität des Abgehandelten « 58 sichert. Die Analyse löst sich von den tra-ditionellen Hierarchien der Musiktheorie, die initiale Metapher » Tonwanderung « inspiriert vielmehr Einzelbeobachtungen und bindet diese an das neu geschaffene Konzept. Hier wird Strukturanalyse nicht unter einem Deckmantel » hermeneuti-scher Hilfskonstruktionen « 59 versteckt, die Metaphern sind hier vielmehr im kanti-schen Sinn » durchscheinendes Gewand « 60 und gehen so mit der satztechnischen Analyse eine feine Symbiose ein:Selbst innerhalb der diktatorischen Geradlinigkeit des ersten Satzes schafft er einer Wanderung ins Ungewisse [alle Hervorhebungen J. O.] Raum und gibt eben damit jener Geradlinigkeit besondere Tiefe und Legitimation. Am Ende dieser » Wanderung « steht, hier ein jäh einschlagender Blitz, jene Gestalt, die die Gemeinsamkeit der Themen endgültig manifest macht. Es handelt sich um die vieldiskutierten Takte 196 ff., in denen Beethoven die Musik den metri-schen Boden unter den Füßen verlieren verläßt. » Irgendwo « in dieser Passage gerät die paarige Ordnung der Takte aus dem Tritt. […] Nicht weniger als hier geht auch in den Takten 41 ff. des Andante con moto die Reise ins Ungewisse, als in einem zaghaften Vorantasten, bei dem, ebenfalls wie in der eben bespro-54 Ebd., Sp. 612.55 Blumenberg 1999, wie Anm. 13, S. 13.56 Hierzu Gernold W. Gruber, Art. » Analyse « in 2MGG, Sachteil Bd. 1, Kassel u. a 1994, Sp. 577–591, hier Sp. 578. 57 Peter Gülke, » … immer das Ganze vor Augen « . Studien zu Beethoven, Kassel u. a. 2000, S. 189.58 Ebd., S. 180.59 Wulf Konold, Ludwig van Beethoven. 5. Sinfonie c-Moll, 0p. 65. Einführung und Analyse, Mainz u. Mün-chen 41989, S. 47.60 Nach Kants kritischem Einwand zu seinem Schüler Herder, siehe hierzu Anm. 88.