- 205 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Einerseits dienen diese Nummern der möglichst originalgetreuen Zeichnung der damaligen Zeit und der typischen Tanz-Soiréen. Andererseits spielt Malle auf die vorhergehenden Vernehmungen an. Ironischerweise finden Lucien und France nämlich in dem Raum zusammen, der normalerweise für die Verhöre und Folterungen dient. Die stilistisch gleiche Musik klingt auch in diesem Fall gedämpft ins Obergeschoss. Doch anstatt brutalem Gestapo-Folterknecht und stolzem Résistance-Helden sieht der Filmbetrachter einen ungewöhnlich zärtlich-naiven Lucien, der den Wutausbruch Maries nicht versteht und France tröstet, die sich ihm in ihrer Verzweiflung hingibt. Ihr Dilemma wird am dieser Stelle deutlich: Sie fühlt sich als Französin und hat das Judentum satt.540

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»Lucien . . . j’en ai marre . . . j’en ai marre d’être juive . . . « In: Malle/Modiano (1989), S. 70 (»Lucien, ich habe es satt, Jüdin zu sein.«)

Take 2 ist ebenfalls ein Django Reinhardt-Titel (Minor Swing). Er erklingt zu Beginn des Films: »Für den Vorspann, wo Lucien auf dem Fahrrad zu sehen ist, nahm ich eine ganz frühe Aufnahme von Grappelli und Django. Es ist ein sehr fröhliches Stück und paßte meiner Meinung nach ausgezeichnet für den Anfang: Er radelt nach Hause, er ist glücklich.«541

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French (1998), S. 145
Bewusst hat Malle folglich einen anderen Ton als im Rest des Films gewählt; in diesem Abschnitt des Films scheint die Welt für Lucien noch in Ordnung zu sein, es ist der Prolog zur weiteren Entwicklung.

Die weiteren Stücke, die im Hôtel des Grottes erklingen, sind zeitgenössische Schlager und Chansons. André Claveau, 1915 geboren, war zur damaligen Zeit ein gerade aufgestiegener Star der Chanson-Szene.542

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Vgl. Saka, Pierre/Plougastel, Yann (Hrsg.): La Chanson française et francophone. Paris: Larousse 1999, S. 185
Lucien Riuoux bezeichnet ihn als den »charmeur de l’Occupation«.543
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Rioux, Lucien: 50 ans de chanson française. De Trenet à Bruel. Paris: L’Archipel 1992, S. 18
Irène de Trébert hatte 1941 mit dem Schlager Mademoiselle Swing einen großen Erfolg. An diesem Stück wird die damalige Swingmode erkennbar. ›Etre swing‹ bedeutete damals ein Stück weit Rebellion gegen die Neuordnung Frankreichs, gegen die Okkupanten und gegen das Vichy-Régime.544
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Neben dieser Bewegung gab es aber auch Interpreten, die sich deutlich opportunistisch verhielten und verklärte Heimatoden im Vichy-konformen Rahmen produzierten (Maurice Chevalier: Ça sent si bon en France/André Dassary: Maréchal nous voilà).

Gerade in den Segmenten 53–54 wird die Popularität des Swing deutlich. Zum Schlager Mademoiselle Swing tanzen die französischen Kollaborateure ausgelassen, gleichwohl sie sich um die weitere Bedeutung der Swing-Bewegung keine Gedanken machen. Somit werden sie als Vergnügungsgesellschaft charakterisiert; die Atmosphäre gleicht einem Tanz auf dem Vulkan, denn dieses dekadente Leben in Reichtum und Luxus auf Kosten der ausgebeuteten Opfer des Miliz-Terrors soll bald sein Ende finden. Insgesamt betrachtet geben diese Schlager ein sehr authentisches Bild der zeitgenössischen Partykultur. Sowohl die bourgeoise France als auch Dandy Jean-Bernard wissen den Swing zu tanzen – im Gegensatz zu Lucien, der zum ersten Mal in seinem Leben an einer so feinen Abendgesellschaft teilnimmt.

Die Dramaturgie der Django Reinhardt-Stücke (und auch die der Schlager in den Segmenten 53–54) gehorcht einem atmosphärischen Verlauf, der unbeschwert und fröhlich beginnt, sich dann im Hotel ändert, bei der Party (Segment 57) für


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