- 207 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (206)Nächste Seite (208) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

bleibt lediglich das Indiz des Bürgertums und des hohen Musikverständnisses der spielenden Person.

Nach Take 11 erscheint France zum ersten Mal im Film. Sie ist die hübsche und feinsinnige Tochter des jüdischen Schneiders Albert Horn, der - ehemals zur Pariser Oberschicht gehörend - sich nun in einem kleinen Städtchen im Südwesten Frankreichs versteckt hält. Seine Tochter France fühlt sich als Französin und nicht als Jüdin, sie hat es sogar »satt, Jüdin zu sein«, wie sie Lucien an späterer Stelle gesteht. Sie ist in der Pariser Bourgeoisie aufgewachsen und einen hohen Lebensstandard gewöhnt (ihre Äußerungen über den von Lucien mitgebrachten Champagner beweisen dieses). Es lässt sich vermuten, dass ihr aufgrund ihrer jüdischen Abstammung eine Pianistenkarriere verwehrt wurde (vgl. S 52). Im Gegensatz zu ihrem Vater leidet sie weniger unter dem Verlust des sozialen Status als vielmehr unter dem Eingeschlossensein und der damit verbundenen Langeweile, die im Gegensatz zu ihrem früheren Pariser Lebensstil steht. Aus diesem Grunde nimmt sie die Einladung Luciens zum Fest im Hôtel des Grottes auch nicht widerwillig an, sondern genießt die Abwechslung.

Es stellt sich die Frage, inwieweit die Stücke, die France im Film spielt, die Handlung kommentieren, bzw. deren Gestus die Atmosphäre der jeweiligen Szene und der Gesamthandlung bestimmt.

Mit Ausnahme des Schumann-Werkes Carnaval ist es schwierig, Inhalte in die Musik hineinzuprojizieren, will man sich nicht in zweifelhafte Spekulationen über mögliche Zusammenhänge zwischen Werk und Biographie des Komponisten verlieren. Dieses wird am Beispiel der sogenannten Mondscheinsonate (Beethoven: op. 27, 2) deutlich. Mehrfach wird in der Sekundärliteratur auf den irreführenden Titel hingewiesen, der dem Werk posthum von Ludwig Rellstab verliehen wurde und sich auf den ersten Satz bezieht. Beethoven selbst hatte am Entstehen des Titels keinen Anteil. Nicht nur der Charakter dieses Satzes, sondern auch der Rhythmus der Oberstimme lassen eher auf eine Art Trauermarsch als auf eine romantische Liebeserklärung schließen. Somit bleibt häufig nur der Ausdruck als Funktion der Musik im Film, welcher jedoch in den verwendeten Stücken recht problemlos zu beschreiben ist.

Zudem ist zu untersuchen, ob eine Verbindung zwischen dem Charakter eines Stückes und der Intention der Interpretin, France Horn, besteht, sprich: ob die Tochter sich durch das Klavier äußern will oder ob die Stücke vom Regisseur montiert worden sind, um eine Entwicklung der Stimmung zu verdeutlichen.

Take 6 (Beethoven: Sonate As-dur, op. 110): Die Sekundärliteratur findet vielfältige Wege, um den Charakter dieser Anfangstakte zu beschreiben: »eine zarte, begeistert aufwärts steigende Melodie«,548

548
Oehlmann, Werner (Hrsg.): Reclams Klavierführer. 2 Bände, 6. Auflage. Stuttgart: Reclam 1993, Bd. 2, S. 747
»Beethoven scheint von seiner Jugend zu erzählen, von glücklichen Jahren in Wien«;549
549
Jörg Demus in: Badura-Skoda, Paul/Demus, Jörg: Die Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven. Wiesbaden: Brockhaus 1970, S. 201
Wagner nannte den ersten Satz »Frühlings Erwachen«.550
550
Zit. n. ebda., S. 202
Über Sechzehnteln erklingt eine kantable Melodie, die von einer simplen Kadenz begleitet wird (T–D7–T–(D7)–S–T–D7–T). Der lyrische,

Erste Seite (i) Vorherige Seite (206)Nächste Seite (208) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 207 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?"