- 228 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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wobei letzterer pragmatisch seinen Profit daraus zieht. Somit ist es fraglich, ob Malle diese eventuelle Beeinflussung der Rezeption durch die Musik bewusst intendiert hatte, da die schwungvollen Ragtimes letztendlich nur das darstellen, was sie im historischen Kontext bedeuten: zeitgenössisches Entertainment in bestimmten Situationen. Auch Jean-Claude Laureux sieht im Gebrauch der im Film verwendeten Musik (hier vor allem bei der Versteigerungsszene) eine ehrlichere Wahl als im Montieren von künstlich-dramatischen Stücken, die die Ungeheuerlichkeit der Szene verstärken würden.611
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»Cela va un peu dans le sens de ne pas orienter trop le spectateur, de ne pas lui imposer un point de vue. Finalement il [L. M.] montre cette vente aux enchères, mais documentairement, c’est quasiment exact. C’est-à-dire, cette vente aux enchères peut se faire sur un air de Jelly Roll Morton parce qu’il est dans la pièce à côté, il y joue. Alors il [L. M.] met cette gaieté, cette légèreté à l’aspect dramatique de la situation. C’est plus honnête que de mettre une musique qui renforce.« (»Das geht ein bisschen in die Richtung, den Zuschauer nicht zu stark zu leiten, ihm nicht einen bestimmten Blickwinkel aufzuerlegen. Letztendlich zeigt er [L. M.] diese Versteigerung in dokumentarischem Sinne, quasi in exakter Darstellung. Was bedeutet, dass diese Versteigerung beispielsweise von einer Melodie Jelly Roll Mortons begeleitet werden kann, da er im Raum nebenan gesessen und dort gespielt haben könnte. So vermengt er [L. M.] diese Fröhlichkeit und Leichtigkeit der Musik mit der Dramatik der Bilder, was ehrlicher ist, als eine Musik zu verwenden, die die Dramatik verstärken würde.«), zit. n. Interview mit dem Verfasser, 4. 4. 2001
An diesem Aspekt wird deutlich, dass die Unterscheidung zwischen intendierten Funktionen und möglichen Wirkungen nicht immer leicht fällt. Es zeigt sich, dass auch dokumentarisch verankerte Musik im On durchaus Einfluss auf die Wahrnehmung haben kann, zumal wenn die Filmhandlung in einer früheren Zeit spielt und sich die im Film dargestellten sozialen Werte und Normen samt Moralgefüge verändert haben.

Im Gegensatz zu Le Souffle au coeur und Lacombe Lucien ist der Einsatz von Musik in diesem Film nicht eindeutig an Personen gebunden. Eine schlüssige Musikdramaturgie, in der gewisse Stücke eine Bedeutung erhalten, die an späterer Stelle wieder abgerufen wird, konnte daher nicht erstellt werden, obwohl einige Stücke mehrmals erklingen.

Aus unerfindlichen Gründen weicht die Musikdramaturgie der deutschen Synchronfassung in diesem Punkt vom amerikanischen Original ab.612

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Neben dem vermehrten Einsatz des Stückes Heliotrope Bouquet finden sich noch weitere Unterschiede. So erklingt u. a. in Segment 13 der Big Lip Blues in einer reinen Klavierfassung, und in Segment 17 und 18 werden andere Stücke als in der Originalversion montiert.
Das Stück Heliotrope Bouquet wird in dieser Version613
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Im Vertrieb der CIC Video GmbH, Eschborn/Ts.
an weiteren Stellen verwendet, so beim ersten Aufeinandertreffen des Fotografen mit Violet in Segment 11 und bei der Auseinandersetzung wegen der Fotoplatten in Segment 27. In dieser Fassung könnte der Ragtime folglich für die Beziehung der beiden zueinander stehen. Eine derartige Hypothese bietet sich jedoch nicht in der Originalfassung an und muss daher Spekulation bleiben.

Neben der Musik nehmen die Geräusche einen großen Stellenwert ein. Auch sie tragen dazu bei, die Epoche der Filmhandlung wiederzubeleben.

Es bleibt anzumerken, dass Malle mit großer Präzision eine Musikbegleitung erstellt hat, die zur Authentizität und Lebendigkeit des Filmes beiträgt. Somit wird der Jazz und seine Vorläufer Ragtime und Blues in diesem Film zu einem der zentralen Themen und der Film gleichzeitig zu einer Huldigung an diese Musik, für


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