weiße Kulturindustrie
zugunsten weißer Musiker und die ideologische Stützung des Vorgangs durch das
Bildungswesen«621
heraus. Dieser Aspekt ist für die Figurenkonstellation im Film nicht ohne Bedeutung, ist doch
Lou, der eine von Weißen dominierte Musik, den Bigband-Swing hört, zumindest zu Beginn des
Films noch von seinem ›Arbeitgeber‹, dem farbigen Fred, abhängig.
Lou und Grace schwelgen folglich in der Musik ihrer jüngeren Jahre; der Swing steht hier
für die ferne Vergangenheit der dreißiger Jahre. Auch beim zweiten Einsatz des
Stücks illustriert es die Erinnerung an frühere Zeiten: wenn Grace (wie Lou
in Segment 63) neue Lebenskraft zu schöpfen scheint und Chrissie von ihren
›Betty-Grable-look-alike-contests‹ erzählt und die Szene mit den Worten »I was a
princess« beschließt. Die Musik repräsentiert somit die Personen Lou und Grace.
Gleichzeitig erfüllt sie dieselbe Funktion in Bezug auf die Stadt Atlantic City, deren
Glanzzeit in die gleiche Epoche wie die des Musikstückes und die von Lou und Grace
fällt.622
Die enge Verklammerung von Lou und der Stadt Atlantic City, die durch die Musik und
seine Kommentare »It’s a shame you never saw Atlantic City when it had floy-floy.«
(S 40) etc. ausgedrückt wird, nennt Maria Ratschewa stilistisch ›psychologischen Realismus‹:
»Psychologischer Realismus bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die Menschen den Ort,
an dem sie leben, in dem Maße bestimmen, in dem dieser Ort sie bestimmt. Die Präsenz der
Stadt ist sehr intensiv. Sie ist nicht nur Dekoration, nicht nur ein beliebiger, an dem sich
irgendeine Geschichte abspielt [. . . ] Lou und Sally wirken vielmehr wie Produkte von Atlantic
City.« In: Medium 1 (1/81), S. 45. Die Musik trägt daran großen Anteil: Sie verbindet die
parallelen Schicksale von Lou und der Stadt.
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Die Erinnerung an die Vergangenheit gepaart mit unerfüllten Wünschen erhält in
Segment 105 eine neue Dimension. Beim dritten Erklingen des Stücks wird endlich
wahr, wovon Grace schon immer geträumt hat: mit Würde an der Seite eines richtigen
Verbrechers auf der Strandpromenade zu spazieren. Die Verteilung der Musik folgt demnach
einer internen Dramaturgie: Nachdem sie zunächst Lou aus seiner Lethargie reißt,
demonstriert sie anschließend das Erwachen von Grace, bis die beiden vereint das Leben
auf dem Boardwalk genießen, welches in diesem Fall in der Tat »peaches and cream«
ist.623
Vgl. den Text des Liedes On the Boardwalk in Atlantic City mit der Textzeile »Life will be
peaches and cream«.
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Piano Blackjack (Take 9/26) In vielen Fällen repräsentiert die Musik in Atlantic
City eine soziale Schicht bzw. ein bestimmtes Milieu. Dieses ist der Fall beim
Stück Piano Blackjack. Es handelt sich um einen Blues mit erweiterter Kadenz
(I-IV-I-IV-I-VI-II-V-I), der von Klavier, Bass und Schlagzeug als langsamer Swing
gespielt wird. Er erklingt in der Bar ›Clifton’s‹, in der Dave mit dem Dealer Fred
O’Reilly ins Geschäft zu kommen versucht. Die Musik bleibt während des gesamten
Gesprächs der beiden im Hintergrund präsent. Sie steht in diesem Fall klischeehaft für
die Untergrundwelt in zwielichtigen Bars, in denen Farbige das Sagen haben. Sowohl der
unbedarfte Dave als auch der ehemalige Mafiahandlanger Lou werden von Fred
mit herablassender Arroganz behandelt. Dazu wird eine Musik montiert, die
gerade durch das Idiom des Blues als Schöpfung der schwarzen Bevölkerung
angesehen wird. Hier zeigt sich die situationsbedingte Überlegenheit des Farbigen
Fred, in dessen Metier sich die beiden Weißen seiner Hierarchie unterordnen
müssen.
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