- 245 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Im Epilog, Wallys Heimweg, nimmt der Zuschauer schließlich wieder dessen Perspektive ein, da nun erneut seine Off-Stimme ertönt, die seine Gedanken und Gefühle vermittelt. Der Hauptteil ist von einer gewissen Neutralität der Darstellung gekennzeichnet, obwohl Malle durchaus Mittel anwendet, um den zunächst etwas schwülstigen Bericht Gregorys zu ironisieren (Kamerawinkel, Gegenschüsse auf Wally). Dennoch wirft ihm Michel Chion diese Neutralität vor:

»De cette image, que fait Louis Malle, auteur-réalisateur? Rien. Il enregistre dans un style télévisuel deux personnages parlant devant la caméra, celle-ci placée en tiers. Il s’est donné, paraît-il, beaucoup de mal pour le montage, mais ce que l’on voit sur l’écran ne diffère en rien de l’enregistrement neutre que peut faire un réalisateur de télé d’une émission-débat [...]«649

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Chion, Michel: »Bouvard et Pécuchet dînent à New York«. In: Cahiers du Cinéma 346 (4/83), S. 50 f., hier S. 51 (»Was macht der Autorenfilmer Louis Malle aus dieser Geschichte? Nichts. Er filmt im Fernsehstil zwei Personen, die vor der Kamera sprechen, die wie eine dritte Person installiert ist. Er hat sich, so scheint es, viel Mühe bei der Montage gegeben. Das, was man jedoch auf der Leinwand sieht, unterscheidet sich durch nichts von einem neutralen Beitrag, den ein Fernsehregisseur aus einer Debattensendung machen kann [. . . ]«)

Die bereits mehrfach erwähnte Dokumentar-Ästhetik findet sich somit auch in diesem Film (wenigstens teilweise) wieder. Viele Zuschauer meinten denn auch nach Anschauen des Films, Malles Werk sei ein Dokumentarfilm über das Treffen zweier alter Freunde in einem New Yorker Restaurant. Die unaufdringliche Inszenierung war vom Regisseur intendiert: »Die Idee mit den Kamerafahrten hatte ich längst aufgegeben, denn sie würden beim Schnitt nur stören. Außerdem wäre damit die Kamera ins Bewußtsein der Leute geraten, und es war wichtig, daß die Zuschauer die Kamera in der ersten Minute vergessen hatten.«650

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Malle in French (1998), S. 189

Wie kaum ein zweiter Film Malles lebt My Dinner With André vom Dialog bzw. von der Sprache. Sie steht zwangsläufig im Mittelpunkt, da eine Handlung im dramaturgischen Sinne nicht existiert. So blickt der Filmbetrachter auf die Gesichter der beiden Protagonisten, während er sich vor seinem geistigen Auge deren Erzählungen vorstellt:

»Fast scheint es so, als wolle der ansonsten so ›optische‹ Regisseur mit seiner eigensinnigen Selbstbeschränkung und Umkehrung seiner Kinoästhetik ausgerechnet mit Hilfe des Mediums Film dem Zuschauer die Imaginationskraft des Wortes wieder zu Bewußtsein bringen. Andrés Erzählungen sind oft sehr anregend und lechzen geradezu nach einer Umsetzung in Bilder; die aber bleiben aus und zwingen so den Beschauer, eigene Vorstellungen wachzurufen – die bewußte, fast höhnische Reduktion der Ausdrucksmittel als Auslöser der Eigenkreativität des Publikums.«651

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Haslberger, Hubert: »Mein Essen mit André«. In: Film-Dienst 1 (12. 1. 82), Kritik Nr. 23272

Hier zeigt sich erneut ein Merkmal, welches sich in Malles Dokumentarfilmen und besonders bei Calcutta findet: die Verschiebung der Filmrezeption in die Richtung eines stärker vom Zuschauer zu leistenden Reflektionsprozesses – Malle erklärt nichts, er zeigt lediglich. Der Zuschauer muss sich somit seine eigenen Gedanken machen. Im Falle von My Dinner With André schmückt der Regisseur nicht die


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