So verwandelt Malle die Perspektive des Zuschauers durch Großaufnahmen
dahingehend, dass dieser den Eindruck erhält, als sitze er mit den Schauspielern am
selben Tisch. Zudem spielt die Beleuchtung eine wichtige Rolle: »Stimmungsvoll
ausgeleuchtet und in pastellartige Farben getaucht bekommt die Inszenierung
eine visuelle Eleganz, wie man sie kaum für möglich gehalten hätte. So ist das
Auge immer beschäftigt und man gerät nie in die ›Guckkasten‹-Sehweise des
Theaters.«661
Hamacher, Rolf-Ruediger: »Vanja on 42nd Street«. In: Film-Echo/Filmwoche Nr. 7
(17. 2. 1995), S. 30
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Vor allem aber hebt eine Tatsache den Film von einer Theaterpräsentation
ab: Malle filmt keine Aufführung, sondern den Gesamtdurchlauf des Stückes
während einer Probe. Die Schauspieler, die sich hierzu im halbzerfallenen New
Amsterdam-Theater einfinden, spielen in Straßenkleidung, sie sind lediglich behelfsmäßig
geschminkt, der Hintergrund der Probebühne bleibt vage, und im Zuschauerraum
finden sich – außer den Theatermitarbeitern – lediglich zwei Zuschauerinnen,
Mrs. Chao, die Shawn mitgebracht hat, und die Nichte der Nanny-Darstellerin
Phoebe Brand. »Nicht das Spielen wird geprobt, sondern das Proben wird
gespielt – in der Geschichte des Schauspiels ein möglicherweise erstmaliger
Vorgang.«662
Lachat, Pierre: »Der sichbar gemachte Text. Vanya on 42nd Street von Louis Malle«. In:
Filmbulletin 199 (2/95) März 1995, S. 12–15, hier S. 14
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Jean-Marc Lalanne schreibt in seiner Kritik des Films in den Cahiers du Cinéma, Malle
habe alle Merkmale des Theaters ausradieren wollen:
»L’astuce consiste à installer le film en montrant une troupe en répétition puis
à effacer toutes les marques du théâtre. Pendant le temps de la représentation
(à une interruption près), aucun contrechamp ne vient rappeler la présence
hors-champ du metteur en scène et des autres participants de la pièce; une
musique illustrative surgit d’on ne sait où et accompagne l’action; de toute
évidence, les comédiens se placent par rapport à la caméra de Louis Malle et
non plus pour être entendus par une hypothétique salle de théâtre ...«663
Lalanne, Jean-Marc: »Vanya 42e rue«. In: Cahiers du Cinéma 488 (2/95),
S. 59 (»Der Kniff besteht darin, die Truppe während einer Probe zu zeigen und
anschließend alle Kennzeichen des Theaters auszuradieren. Während der Länge
der Aufführung (bis auf eine Pause) erinnert keine Gegeneinstellung an die
Präsenz des Regisseurs und der übrigen Beteiligten des Stückes; eine illustrative
Musik ertönt plötzlich von Gott weiß woher und begleitet die Handlung; es ist
sonnenklar, dass die Schauspieler sich für die Kamera Louis Malles bewegen
und platzieren und nicht, um in einem hypothetischen Theatersaal gehört zu
werden.«)
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Hier wird bereits ein erster Hinweis auf die Funktion der Musik deutlich; er wird an
späterer Stelle noch zu untersuchen sein. Es ist jedoch anzumerken, dass die Musik nicht
die Handlung des Schauspiels begleitet, wie Lalanne fälschlicherweise behauptet, sondern
in den Pausen erklingt.
Malle hebt an mehreren Stellen die geschlossene Leistung der
Schauspieler hervor; für ihn haben allein sie und der von David Mamet
ins Englische adaptierte Text den größten Anteil an der Wirkung des
Stückes.664
Vgl. Malle in French (1998), S. 276
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Diese hatten ihre Rollen nach vierjähriger Probenzeit derart verinnerlicht, dass Malle für
die Dreharbeiten lediglich zwei Wochen benötigte.
Formal besteht der Film aus der vollständigen Probeaufführung des Stückes, wobei
zwischen dem ersten und zweiten und zwischen dem zweiten und dritten Akt
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