- 259 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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angelegt. Delerue zitiert in ihr vertrautes musikalisches Material, welches ebenso in Hollywood-Filmen anzutreffen sein könnte.

Ausnahmen in diesem Abschnitt bilden die Filme Le Feu follet (1963), Le Voleur (1967) und William Wilson (1968), in denen die Musik teilweise den Pfad der Paraphrasierung der Bildatmosphäre verlässt und sich einer weniger stereotypisierten Sprache bedient. Der Gebrauch der Musik Erik Saties in Le Feu follet mutet zunächst auch im Sinne der Mood-Technique wie eine Paraphrasierung der verzweifelt-melancholischen psychischen Verfassung des Protagonisten an; diese Verwendung ist jedoch weitaus vielschichtiger zu deuten, da die Musik auch laut Malle selbst mitunter einen ironischen Kontrapunkt zur Handlung bildet.673

673
Vgl. Yakir (1978b)
Während der Regisseur die Episode William Wilson mit Neuer Musik von Diego Masson ausstattet (eine Musiksprache, die in keinem anderen seiner Filme Eingang findet) und durch die Ausdruckskraft der Musik die Grenzen zwischen Realität und Traum verwischen lässt, deutet sich mit Le Voleur eine Tendenz an, die nach der Erfahrung der Indien-Filme in den Spielfilmen zur Geltung kommen wird: die Ästhetik des Dokumentarischen Spielfilms. Zeichnet sich der Film auf visueller Ebene durch eine detaillierte Schilderung des Einbrechergewerbes (das wie ein präzises Handwerk dargestellt wird) samt Milieu aus, so kommt der Film mit erstaunlich wenig Musik aus (5 %). Davon entfällt ein Teil auf Musik im On. Malle verzichtet in diesem Film folglich auf eine ausladende Musikdramaturgie mit verschiedenen Themen – weswegen sich der Stil fundamental von dem des Films Vie privée unterscheidet, der Malle zufolge auch eine Art Dokumentarfilm über Brigitte Bardot darstellt – und beschränkt sich auf kurze Einsätze, die die Beziehung des Protagonisten zu seiner Geliebten kennzeichnen. Wegweisend auch für nachfolgende Filme ist die Absenz von intensitätssteigernder Musik bei dramaturgischen Schlüsselstellen wie dem Höhepunkt oder Vor- und Abspann. Somit sind Le Voleur und Le Feu follet nicht nur im Hinblick auf die Stilistik der verwendeten musikalischen Sprache verwandt, sondern auch in Bezug auf die dramaturgische Verteilung der Takes, da Malle in beiden Filmen sporadische Einsätze vornimmt und beispielsweise beim Suizid Alain Leroys die Musik schweigen lässt.

Dieser auditive Aspekt verweist auf die häufig in Malles Filmen anzutreffende Neutralität der Darstellung von Charakteren und Situationen. Bereits in Les Amants moralisiert der Regisseur nicht gegen das Verhalten von Jeanne, sondern stellt es als einen Ausbruch aus den bürgerlichen Konventionen dar, mit dem er stillschweigend sympathisiert. Dementsprechend verzichtet er auf Musik, deren inhaltlicher Kontext Jeannes Schritt kommentieren bzw. kritisieren könnte. Auch Le Feu follet zwingt nicht zur unbedingten Identifikation mit dem Protagonisten, sondern stellt diesen als ein Opfer der Gesellschaft dar, welches jedoch nicht zwangsläufig zu bemitleiden ist. Die Tonspur wiederum dramatisiert nicht, sondern setzt mitunter kontrapunktische Akzente. Dieser Aspekt einer gewissen Neutralität korrespondiert mit der stilistischen Ästhetik einer »›unsichtbare[n] Regie‹«674

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Zit. n. Burg, Vincent B.: »Wider alle Moden. Fragment über Louis Malle«. In: o. V.: Jahrbuch Film 84/85. München: Hanser 1985, S. 72–83, hier S. 82
bzw. einem »›Nullpunkt des kinematographischen Stils‹«,675
675
Ebda.
was bedeutet, dass Malle

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