- 55 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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unterstreicht der Bildschnitt seine Ruhelosigkeit und Ortlosigkeit, indem er Alain mit gewollt falschen Anschlüssen in der Szene regelrecht dislociert.«131
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Jansen, Peter W.: »Die Sonne anfassen«. In: Arnold (1985), S. 7–22, hier S. 20

Hinzu kommt noch die zerrissene, auf der griechisch-chromatischen Tonleiter132

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Vgl. Wehmeyer (1974) S. 26
basierende Melodik, die das Gefühl der Schwerelosigkeit (im Gegensatz zu einer auf die westliche Funktionsharmonik aufbauenden Tonleiter) auch dadurch verstärkt, dass sie von einer eintönigen Auf- und Abwärtsbewegung geprägt ist. Zieht man noch den Titel Gnossienne und die im Notentext enthaltenen Kommentare hinzu,133
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Der Titel Gnossienne spielt auf die griechiche Mythologie (Knossos) an. Alain befindet sich folglich in einem Labyrinth (analog zum Labyrinth des minoischen Palastes), das für ihn das Leben repräsentiert. Die Kommentare, von Satie über die Notenzeilen geschrieben, wirken wie Regieanweisungen: »Très perdu«, ›sehr verloren‹ über Takt 30 und »de manière à obtenir un creux« (in der englischen Übersetzung der Ausgabe G. Hengevelds, die bei Broekmans & van Poppel in Amsterdam verlegt wurde, lautet diese Zeile »how to achieve absolutely nothing«) über Takt 24. Obgleich es müßig ist, jeden Kommentar auf die Bilder zu beziehen, treffen die eben genannten in diesem Fall zu.
verfestigt sich die in der Musik ausgedrückte Paraphrasierung von Alains Gemütszustand.

Die Ausdrucksqualitäten der Musik im Film

Es wurden bereits einige musikalische Aspekte angesprochen, die die Klavierminiaturen Saties auszeichnen: die griechisch-chromatische Tonleiter in der III. Gnossienne, die ziellose Melodik, das Abweichen von der traditionellen Funktionsharmonik zugunsten modaler Skalen und Septakkorde. Hinzu kommt noch der Orgelpunkt, der in gerade in den Gnossiennes eine wichtige Rolle spielt. Die eben genannten Merkmale erzeugen zusammen mit dem durchgehend langsamen Tempo und den überwiegend in Moll erklingenden Akkorden ein Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit. Dieser Ausdruckscharakter korrespondiert mit der Kameraführung:

»Die depressive Grundstruktur übernimmt Malle inszenatorisch bis in die Cadrage hinein: Bilder, die keine Öffnung in die Räume, ins Außen bieten, sondern den Charakter einer verschlossenen Welt tragen, in der alle Menschen und Dinge in Horizontalen angeordnet sind, die den Horizont verstellen. [...] Die seriellen, spielerisch schwebenden Klavierstücke Erik Saties, die Malle zu seinem Film montiert, verstärken das Motiv: es ist ein in sich kreisendes Spiel, das sich endlos fortsetzen aber auch jederzeit abgebrochen werden kann, Ausdruck der Lebenssituation Alains [...].«134

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Koch (1985), S. 76. Es sei darauf hingewiesen, dass die Stücke keineswegs seriell sind, wie Gertrud Koch diese fälschlicherweise bezeichnet.

Zumeist spiegelt die Musik die innere Handlung des Protagonisten wider. Besonders deutlich wird dieser Aspekt in Szenen, in denen der Charakter der äußeren Handlung von dem der inneren abweicht. Im oben genannten Segment 35 sitzt Alain bei Sonnenschein im Straßencafé und sieht die Passanten vorüberziehen. Diese sind zumeist ausgelassen und gut gelaunt und stellen somit einen Kontrast zum gequälten Gesichtsausdruck des leidenden Alain dar, den ein leichter Verfolgungswahn zu beschleichen scheint: »Alain est malade, malaise, vertige. Déjà avec les Minville, il


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