- 76 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (75)Nächste Seite (77) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

sein; der Höhepunkt des Films, nach dem sich die bis dahin herrschende Ordnung verändert. Ein weiteres Indiz für die Veränderung von Lilys Status liegt in der Beziehung zu der alten Dame. Von ihr erfährt Lily zunächst auch Ablehnung, die bis zu roher Gewalt reicht. In Segment 49 jedoch tröstet Lily sie über ihren Ärger mit Humphrey, der Ratte, und gibt ihr anschließend die Brust, nach Gertrud Koch ein Zeichen für das Erwachsenwerden:

»Der geforderte Rollenwechsel vom Mädchen zur nährenden Mutter wird nicht dadurch symbolisiert, daß Lily die Alte mit Griesbrei füttert, sondern ihr die Brust geben muß. Der Einzug der symbolischen Vermittlung, die Plastizität des greifbar Nahen und Lily doch Verschlossenen, reproduziert die Erfahrungsstrukturen der Pubertät.«182

182
Koch (1985), S. 103

Lily scheint am Ende des Films die Nachfolgerin der alten Dame zu werden. Gleichzeitig ist zu vermuten, dass das Einhorn eine Reinkarnation der Frau darstellt, zumal es auch während des Films mit ihrer Stimme spricht. Malle nennt das Einhorn an anderer Stelle einen »etwas lächerlichen Doppelgänger«183

183
Malle in Mallecot (1978), S. 107
der alten Dame. An diesem Beispiel wird deutlich, dass es müßig ist, alle Interpretationsversuche zu verfolgen, da der Film keine logischen Folgerungen zulässt.

Bereits oben wurde von einem Wendepunkt gesprochen, der musikalischen Darbietung einer Szene aus Tristan und Isolde. Bevor auf die Musik noch detaillierter eingegangen wird, sei hier in Kürze die dramaturgische Funktion dieser und der darauffolgenden Szenen skizziert. Lily ist zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal sowohl in die Aktivitäten des Geschwisterpaares als auch der Kinder integriert. Es scheint ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Mensch, Tier und Musik zu herrschen. Dieses Gleichgewicht schlägt am nächsten Morgen schlagartig um, als der Bruder den Adler köpft und damit den »pacte de protection«184

184
Prédal (1989), S. 126 (»Schutzpakt«)
bricht. Die Folge: Der Krieg der Geschlechter hält nun auch im Haus Einzug, welches die Rolle als friedliche Insel inmitten der Gefechte zu verlieren droht. Dennoch scheint am Ende des Films die Einheit zwischen Mensch und Natur wiederhergestellt: Lily fungiert als neuer Kopf des Hauses und der Garten ist voller Schafe und Truthähne.

Susan Sontag weist auf das im Film herrschende erotische Klima hin, welches nicht nur vom Geschwisterpaar bestimmt wird, sondern sich auch in der Erscheinung der Tiere und der Kinder manifestiert: »Dans Black Moon, personne ne fait l’amour, mais le climat du film, les personnages, la façon dont il est tourné, tout y est sensuel. C’est un film sur le corps, très généreux érotiquement, parce que tout le monde a sa valeur érotique [. . . ].«185

185
Susan Sontag in Mallecot (1978), S. 105 (»Obwohl Black Moon keine Darstellung des Geschlechtsverkehrs enthält, sind das Klima, die Personen, die Art und Weise, wie er gefilmt wurde, ja praktisch alles im Film erotisch. Es ist ein Film über den Körper, er hat eine starke erotische Ausstrahlung, weil alle Personen ihre erotischen Qualitäten haben.«)
Dieser Aspekt unterstreicht die von Malle in der Vorbemerkung (siehe Fußnote) geforderte Herangehensweise des Eintauchens in diese fremde Welt, ohne zu stark nach kausalen Bildzusammenhängen zu suchen, was wiederum mit der Tatsache korrespondiert, dass die Kommunikationsformen, die im Film angewendet werden, in den seltensten Fällen einer verständlichen Konversation entsprechen. Entweder finden sie nonverbal (vgl. Bruder-Lily), stumm

Erste Seite (i) Vorherige Seite (75)Nächste Seite (77) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 76 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?"