1.1 Beziehungen zwischen Klang und Notendarstellung 11 über oder unter ihrer Nachbarnote liegt. Die Buchstabennotation (etwa gdcag) er-fordert hingegen erhöhte Konzentration und es besteht die Gefahr, wertvolle Zeit zu verschenken, mit entsprechend fatalen Folgen für das Blattspiel. Ebenso bedeutsam wie das visuelle Erkennen hoher und tiefer Noten ist die aku-stische Wahrnehmung unterschiedlicher Tonhöhen. Von Anfang an zeigt sich in der abendländischen Musik eine Synästhesie zwischen akustischer und geometrischer Höhe; doch was ist überhaupt ein »hoher Ton«? Spielt man musikalischen Laien zwei verschiedene Töne auf demselben Instrument vor und fragt anschließend nach dem Unterschied, so antworten die meisten: »der erste Ton war heller (oder dunk-ler) als der zweite«. Die wenigsten verwenden die Adjektive »hoch« oder »tief« und falls doch, werden sie teilweise »falsch herum« benutzt. Tatsächlich ist es kei-neswegs selbstverständlich, daß ein »höherer« Ton automatisch mit einer höheren Frequenz identifiziert wird. Im Gegenteil zeigt sich bei der chinesischen, altgrie-chischen und frühmittelalterlichen Musikauffassung eine umgekehrte Orientierung: »Was wir bei Tönen als hoch empfinden, nennen sie tief, und umgekehrt.«4 Die subjektive Helligkeitszunahme bei steigenden Frequenzen und die seit alters her bestehende Verbindung zwischen Licht bzw. Helligkeit und Höhe, prägte laut Al-bersheim die Richtung der Schreibweise und unser heutiges Tonhöhenempfinden. Eine eindeutige angeborene Tonhöhenorientierung gibt es nicht.5 Die Schlußfolgerung aus den vorangegangenen Darstellungen müßte also sinn-vollerweise lauten: In der konventionellen Musiknotation werden Töne mit einer höheren Frequenz höher notiert, als die im darunterliegenden Frequenzbereich. Lei-der stimmt das nur, wenn man auf die Verwendung alterierter Töne verzichtet. Sobald allerdings Alterationen ins Spiel kommen, kann sich der Zusammenhang zwischen Tonhöhe und ihrer Notation auf den Kopf stellen. Unser Notensystem ist so aufgebaut, daß eine siebentönige Skala ohne Probleme notiert werden kann, d.h. jeder Ton bekommt seine eigene Notenlinie. In Verbindung mit der konven-tionellen Tonartvorzeichnung entstehen auf diese Weise die modalen Skalen.6 Um notationstechnisch mehr als sieben verschiedene Töne in einer Oktave unterbrin-gen zu können, werden bekanntermaßen Versetzungszeichen – nicht zu verwechseln mit den Tonart-Vorzeichen – eingesetzt, welche zwar die Tonhöhe, nicht aber die vertikale Plazierung der Note beeinflussen. Zwangsläufig kann dieses Vorgehen den Zusammenhang zwischen Tonhöhe und ihrer optischen Darstellung durcheinander-bringen. So wird ein eis tiefer notiert als ein fes derselben Oktave, obwohl ersteres höher klingt. Eine weitere, damit im Zusammenhang stehende Inkonsistenz liegt in der Nota-tion modaler Skalen auf äquidistanten vertikalen Rasterpunkten. Ein Notensystem besteht in aller Regel aus fünf Notenlinien und der Abstand zwischen zwei solchen 4 Albersheim (1975), S. 93. 5 Vgl. Albersheim (1975), S. 92–93. 6 Mit flexibleren Vorzeichen könnten auch andere Tonleitern, wie etwa Zigeuner-Moll, direkt dargestellt werden: & ##b oe oe oe oe oe oe oe