12 Notenschrift und Notendruck Linien repräsentiert eine Terz. Ob diese Terz allerdings groß oder klein ist, kann erst in Verbindung mit vorgezeichneten Schlüssel- und Tonartangaben entschieden werden, d.h. der suggerierte gleichbleibende Abstand zwischen den Notenlinien ist aus musiktheoretischer Sicht nicht gegeben. Betrachtet man darüber hinaus die mathematischen Zusammenhänge der Frequenzen einer chromatischen Tonleiter, dann zeigt sich ein scheinbar noch größerer Widerspruch, denn selbst die akustisch wahrgenommenen, scheinbar gleichgroßen »Abstände« zwischen zwei benachbarten Halbtönen sind nicht identisch. Bei der gleichstufig temperierten Stimmung herr-schen vielmehr logarithmische Zusammenhänge, denn nicht die Differenz sondern der Quotient aus zwei benachbarten Halbtonfrequenzen fn < fn+1 ist konstant, es gilt nämlich: = 1√2 2. q := fn+1 fn Nach Auswahl einer beliebigen Basisfrequenz f0 (z.B. das eingestrichene a mit 440Hz), kann demzufolge mit den beiden Transformationsformeln fn f0 fn = f0 · qn, n= logq (1.1) zwischen Frequenz fn und zugehöriger Tonstufe n der auf f0 aufbauenden chro-matischen Leiter umgerechnet und damit ein Wechsel zwischen musikalischer und physikalischer Skala vollzogen werden. Der scheinbare Widerspruch zwischen der linearen Notation und dem konstan-ten Frequenzverhältnis löst sich sofort auf, wenn man berücksichtigt, daß viele menschliche Sensoren, unter anderem auch die Tonhöhenwahrnehmung, annähernd dem Fechnerschen Gesetz gehorchen. Es besagt, daß exponentiell wachsende Reize nur linear ansteigend wahrgenommen werden, d.h. je stärker der Reiz auf unsere Sensoren einwirkt, desto stärker dämpft ihn das Wahrnehmungssystem.7 Die li-neare Notation von Sekundintervallen läßt sich also physiologisch begründen, denn schließlich entstand die Notenschrift auf der Grundlage des Gehörten und nicht aus physikalischen Meßdaten. Ähnlich verhält es sich mit Ton und Klangfarbe. Musikalisch gesehen, gibt es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen diesen beiden Parametern. Die No-tenschrift verzichtet sogar vollständig auf eine differenzierte Notation der Klang-farbe und gestattet damit einen universellen, vom Instrument unabhängigen Ein-satz. Eine für Oboe notierte Melodielinie kann deshalb ohne weiteres auch auf einer Violine gespielt werden. In beiden Fällen wird ein Hörer die Melodie wieder-erkennen und beide Versionen sogar miteinander identifizieren. Aus physikalischer Sicht hingegen, vermischen sich Tonhöhe und Klangfarbe zu einer periodischen Schwingung.8 Die einfachste Form einer solchen Schwingung ist die Sinusschwin-gung, welche in der Natur allerdings nicht vorkommt und auch mit mechanischen Geräten – zum Beispiel mit Stimmgabeln – nur annähernd erzeugt werden kann. 7 Siehe z.B. Zimbardo (1992), S. 144–150 sowie Legewie und Ehlers (1994), S. 70–75. 8 Der menschliche Hörapparat kann nur periodischen Schwingungen eine bestimmte Tonhöhe zuordnen. Nichtperiodische Wellenmuster ergeben Geräusche ohne spezifische Tonhöhe, wie Rauschen, Knacken, Scheppern usw.