1.2 Überblick über die historische Entwicklung des Notendrucks 17 1.2 Überblick über die historische Entwicklung des Notendrucks 1.2.1 Von der Xylographie zum Typendruck Mit der Erfindung des Buchdrucks auf Grundlage beweglicher Metallettern im Jahr 1445, schuf Johannes Gensfleisch zur Laden, genannt Gutenberg, ein Verfahren, das in den Folgejahren ein neues Medien- und Bildungszeitalter einleiten sollte. Die neue Technik ermöglichte es, Schriften mit nahezu gleichbleibender Qualität in hoher Auflage und vergleichsweise kurzer Zeit herstellen zu können – entscheidende Vorteile, denen die Kopisten mit ihren fehleranfälligen Abschriften nichts entgegen-zusetzen hatten. Einzig die kleinen Unregelmäßigkeiten, die den Handschriften ein lebendiges Aussehen verliehen, gingen als ästhetisches Ideal zugunsten der Ökono-mie verloren. Diese Ökonomie war es aber schließlich, die Luther maßgeblich bei der Umsetzung seiner Reformation förderte, indem bis zu seinem Tod etwa eine halbe Million Ausgaben seiner Bibelübersetzung parallel zu anderen Schriften gedruckt wurden und damit das Wissensmonopol der zunehmend weltlichen Begierden erle-genen katholischen Kirche unterwanderten. Auch wenn niemand das volle Ausmaß der Gutenbergschen Erfindung vorherse-hen konnte, erkannte man dennoch früh die Vorzüge der Drucktechnik. So verwun-dert es nicht, daß mit zunehmendem Bedarf an mehrfach vorhandenen Notenbücher auch Bemühungen zur technische Vervielfältigung notengraphischer Manuskripte unternommen wurden. Der erste nachgewiesene Notendruck, ein in gotischer Cho-ralnotation verfaßtes Graduale, stammt aus der Zeit um 1470.15 Als Drucktech-nik kam dabei wahrscheinlich der Holztafeldruck, auch Xylographie genannt, zum Einsatz. Diese Vorform des Typendrucks wurde durch das Herausschnitzen der nicht-druckenden Bereiche aus einer Lindenholztafel realisiert. Die unbearbeiteten, erhabenen Flächen nahmen beim Druckvorgang die Farbe auf und übertrugen die herausgearbeiteten Konturen in spiegelbildlicher Form auf das Papier. Der Vorteil dieses Verfahrens, welches aufgrund der höher liegenden Druckfläche zu den Hoch-druckverfahren gehört (vgl. Abb. 1.3), lag in der relativ freien Gestaltbarkeit der Oberfläche, so daß nahezu beliebige Zeichnungen, unter anderem auch Notenbilder, gedruckt werden konnten. Trotz dieser unverzichtbaren Voraussetzung bereitete die Xylographie beim Herstellen notengraphischer Druckvorlagen diverse Proble-me. Zum einen mußten sämtliche Noten- und Linienzwischenräume in sorgfältiger, mühevoller Arbeit aus der Tafel herausgeschnitzt werden und zum anderen ließen sich dabei entstandene Fehler nur schwer korrigieren. Auch die dünnen, erhabenen Notenlinien konnten leicht abbrechen, mit dem Resultat, daß auch in diesem Fall möglicherweise viele Arbeitsstunden sehr schnell vergeblich waren. Während Gutenbergs Buchdruck bereits seinen Siegeszug angetreten hatte, steckte ein vergleichbarer Notendruck noch in den Kinderschuhen, denn die ty-penmäßige Aufspaltung einer Druckseite in mehrere elementare Bestandteile warf unüberwindbare Hindernisse auf: 15 Vgl. Duggan und Beer (1994ff), Sp. 436.