20 Notenschrift und Notendruck Technik nicht kannte. Aus qualitativer Sicht stellte der einfache Typendruck also einen Rückschritt dar. Er löste das aufwendigere Verfahren jedoch aus ökonomi-schen Gründen in zunehmendem Maße zugunsten der Massenproduktion ab. Diese Entwicklung hielt bis in das 18. Jahrhundert hinein an, wie Chrysanders Ausfüh-rungen eindrücklich zu entnehmen ist: »Im Grunde sind Petrucci’s Typen die vollendetsten von allen; seine Nach-folger haben diese nicht schöner, sondern nur geschäftsmäßiger und für den Druck bequemer hergestellt. Der Druck selber, sorgfältige Behandlung, Schwärze, Papier u.s.w. wurden immer schlechter, im 17. Jahrhundert zum Theil bis zur Unleserlichkeit. [...] In Deutschland war der Musikdruck zuletzt am schlechtesten gewesen, in Leipzig am allerschlechtesten; und eben von hier ging die Neuerung aus, welche die moderne Art des Musik-Typendrucks begründete.«22 Die massive Qualitätseinbuße im 17. Jahrhundert wurde neben der zunehmenden Kommerzialisierung auch durch den allmählichen Wechsel von der Mensuralno-tation zur heutigen, orthochronischen Notation23 gesteigert. Die Einführung von flexiblen Balken und Bögen stellten den Typendruck vor eine nahezu unlösbare Aufgabe. Erst 1750 gelang dem Leipziger Musikhändler Johann Gottlob Imma-nuel Breitkopf (1719–1794) die Entwicklung eines aus 452 verschiedenen Typen bestehenden Setzsystems und damit die oben zitierte »Neuerung« des Notentypen-drucks. Die große Anzahl der Typen läßt die Schwierigkeiten erahnen, welche die neuen graphischen Elemente und die zweidimensionale Ausrichtung der Noten bei mehrstimmigen Partituren bereitete. Die Gründe dafür lagen in der mangelnden Flexibilität vorgefertigter Typen. Beispielsweise müssen Balken, Bögen und Cre-scendogabeln sehr variabel in Abhängigkeit von der vorliegenden Notenkonstella-tion positioniert werden können, um ein harmonisches Druckbild zu gewährleisten. Mit fixen Typen standen dem Setzer jedoch nur bestimmte, ausgewählte Vari-anten dieser Elemente zur Verfügung, die ihn in vielen Fällen zu Kompromissen zwischen seiner ästhetischen Vorstellung und dem technisch Machbaren zwangen. So verwundert es nicht, daß Breitkopfs Typendruck trotz der guten qualitativen Druckergebnisse mit zunehmender Komplexität der Kompositionen schnell an sei-ne Grenzen stieß und er aufwendige Partituren durch Abschreiber vervielfältigen ließ. Tatsächlich verkaufte er in den Folgejahren mehr geschriebene als mit seiner Erfindung gedruckte Noten.24 Die Möglichkeiten des Typendrucks waren schließ-lich ausgereizt und andere Verfahren mußten herangezogen werden, um mit den notenschriftlichen Anforderungen der Kompositionen schrittzuhalten. 1.2.2 Vom Notenstich zum Computersatz Die richtungsweisende Alternative zum Typendruck fanden die ersten Musikverle-ger Mitte des 16. Jahrhunderts in einer damals bereits seit rund neunzig Jahren bekannten Technik bildender Künstler. Der Kupferstich, bei dem die zu druckenden 22 Chrysander (1879), Sp. 198–199. 23 Dieser Begriff geht auf Jacques Chailley zurück und bezeichnet die eindeutige Kennzeichnung der Notenwertrelationen durch entsprechende Notenzeichen (vgl. Rastall (1997), S.104–105). 24 Vgl. Chrysander (1879), Sp. 199.