1.2 Überblick über die historische Entwicklung des Notendrucks 21 Motive mit einem Messerstichel in eine Kupferplatte geritzt wurden, ermöglichte dem geübten Handwerker die Herstellung nahezu beliebig gestalteter Druckvorla-gen – eine ideale Voraussetzung für flexible Notenbilder. Im Gegensatz zum Holz-tafeldruck müssen beim Kupferstich die Druckbereiche also nicht freigelegt sondern lediglich in die Platte graviert werden. Bei diesem Tiefdruckverfahren wird vor dem eigentlichen Druckvorgang mit einer Walze geschmeidige Druckfarbe auf die Platte gerollt und dabei in die Vertiefungen gedrückt. Nach Reinigung der Plattenober-fläche kann die Farbe und damit das gestochene Bild auf ein angefeuchtetes Blatt Papier übertragen werden. Simone Verovio (1575–1608) war der erste Musikverleger, der den klassischen Kupferstich zwischen 1586 und 1608 nach vereinzelten Ausgaben niederländischer Stecher »planmäßig und über einen längeren Zeitraum hinweg für die Vervielfäl-tigung musikalischer Werke einsetzte.«25 Auch nachdem er schnell Nachahmer im In- und Ausland fand, konnte der Kupferstich den Typendruck nicht verdrängen. Dies mag auf die höheren handwerklichen und künstlerischen Anforderungen an die Stecher zurückzuführen sein, denn im Gegensatz zum Typendruck mußte jede Note manuell mit möglichst gleichbleibendem Aussehen in die Platte gestochen werden. Als der Typendruck im 18. Jahrhundert jedoch zunehmend an seine Grenzen stieß, blieb der Kupferstich neben den Abschreibern die einzige akzeptable Alternative. Der endgültige Durchbruch gelang dem Engländer John Walsh (1665–1736) um 1730 mit einer Variante des Notenstichs, die bis ins Computerzeitalter die einzige Technik zum Herstellen professioneller Partituren beliebiger Komplexität darstell-te. Statt die fixen Bestandteile der Notenschrift, zum Beispiel Schlüssel, Notenköpfe und Fähnchen, immer wieder neu in die Platte zu stechen, ließ er für jedes Zeichen typenähnliche Stahlstempel anfertigen und konnte die Symbole damit unter Zu-hilfenahme eines Hammers in die Platte schlagen. Lediglich die flexiblen Elemente mußten jetzt noch gestochen werden. Dadurch reduzierte sich der Arbeitsaufwand zur Herstellung einer Druckseite bei gleichzeitiger Qualitätszunahme erheblich, zu-mal mehrere Stecher parallel an verschiedenen Platten einer Komposition arbei-ten konnten, ohne das gleichmäßige Notenbild aufgrund verschiedener »persönliche Handschriften« übermäßig zu stören.Walsh konnte seine Stempeltechnik allerdings nur auf Grundlage einer zehn Jahre zuvor eingeführten Neuerung im Notenstich realisieren. Im Jahre 1720 bearbeitete der zu seiner Zeit beste Notenstecher Lon-dons, John Cluer († 1728), erstmals neben Kupferplatten auch solche aus Pewter, einer Legierung aus Blei, Zinn und Antimon. Dieses Material war weicher als Kupfer und ermöglichte Cluer beispielsweise, Bögen in einem Zug zu stechen. Die Bogen-dicke konnte er dabei durch die Intensität, mit welcher der Stichel in die Platte gedrückt wurde, beeinflussen. Aufgrund der überzeugenden Resultate ließen viele Komponisten, darunter auch Händel, ihre Noten bei Cluer stechen, der mit den Namen seiner angesehenen Auftraggeber wiederum Werbung betrieb.26 Obwohl er die Pewter-Platten mit gutem Erfolg einsetzte, erkannte Cluer nicht das gesam-te Potential des neuen Materials und so gravierte er bis zu seinem Tod sämtliche Zeichen manuell in die Platten. Erst JohnWalsh teilte den Arbeitsvorgang in Stem-peln und Stechen auf. Damit revolutionierte er den Notenstich derart, daß er und 25 Duggan und Beer (1994ff), Sp. 445. 26 Vgl. Chrysander (1879), Sp. 244.